
Die Fotografin Ruth Stoltenberg ist fasziniert von ungewöhnlichen Perspektiven und sensiblen Orten Ruth Stoltenberg hat viel Geduld, wenn es ums Fotografieren geht – „nur privat nicht ganz so“, gibt sie augenzwinkernd zu. Beharrlich betrachtet sie ihre potentiellen Motive von allen Seiten und aus verschiedenen Perspektiven. „Das entscheidende Bild ergibt sich nicht immer sofort“, weiß die Volksdorfer Fotografin. „Mit meiner Kamera stehle ich ein Stück Zeit und Raum. Ich schneide quasi ein Fragment aus der sogenannten Wirklichkeit aus, löse dadurch die einzelnen Elemente des Bildes von ihrem funktionalen Kontext und komponiere ein neues Bild“, schildert sie ihre Arbeitsweise. Daraus ergeben sich eigenwillige Bilder, die den Betrachter zum Nachdenken und Rätseln bringen – etwa wenn ein Schiff mit einer Häuserfassade zu verschmelzen scheint. Ruth Stoltenberg spielt gern mit optischen Täuschungen, mit Spiegelungen und Bildausschnitten. Viele Fotografien erinnern an Collagen. Visuelle Kommunikation ist und war immer die Leidenschaft der 53-Jährigen. Beim Fernsehsender Premiere, heute Sky, arbeitete sie als Redakteurin zunächst mit bewegten Bildern, verantwortete das Ressort Kurzfilme und begeisterte sich für das typisch offene Ende. Seminare an der Neuen Schule für Fotografie in Berlin bei Wolfgang Zurborn sowie an der Kölner Lichtblickschool prägen ihre Arbeiten bis heute. „Die Wirklichkeit gibt es nicht, denn jeder Mensch hat seine eigene Sicht auf alle Dinge. Die Kamera kann nur ein Stück Realität einfangen, aber die Interpretation liegt beim Betrachter.“ Neben diversen Ausstellungen veröffentlichte sie Foto-Bücher wie „Jeder nach seiner Façon“ über Friedrich den Großen „Die Erfindung des Realen“ sowie „Illusionen entdecken“ über das Entstehen der Hamburger Hafencity. Ständig unterwegs lernte Ruth Stoltenberg das Stasi-Gefängnis und Haftkrankenhaus Berlin-Hohenschönhausen kennen. „Die immer noch präsente Stimmung des Schreckens und der Ohnmacht hat mich sehr berührt und Fragen aufgeworfen, denen ich mit meinen Bildern nachspüren wollte.“ So gaukeln beispielsweise Polsterstühle im tapezierten Verhörzimmer gemütliche Wohnzimmeratmosphäre vor und bilden einen krassen Gegensatz zur karg eingerichteten Zelle. Entstanden sind sensible und schockierend schlichte Bilder ohne jedoch sensationsheischend zu sein. Umfangreiche Gespräche mit Zeitzeugen, die das Martyrium erlebt haben, finden sich zudem im Bildband „Objekt I“. Er wurde kürzlich als eines der zehn besten Kunstfotobücher 2015 ausgezeichnet und erhielt unter anderem den Förderpreis der Stiftung Kunstfonds. Erschienen ist das Buch im Kehrer Verlag. Derzeit ist ein Teil der eindrücklichen Fotografien in einer Wanderausstellung zu sehen. Nach den Gedenkstätten in Erfurt und Gera zeigt Ruth Stoltenberg ihre Werke bis zum 1. Oktober in der Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock. Gefördert wird die Ausstellung vom Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen der ehemaligen DDR, Roland Jahn, der auch das Vorwort geschrieben hat. Ein deutlich lebenslustigeres Thema hat die gebürtige Rheinland-Pfälzerin derzeit in Arbeit. „Ich erfülle mir einen Herzenswunsch und porträtiere meine Heimat um Trier.“ Mit „Schengen“ geht sie der Grenzöffnung nach über 20 Jahren auf den Grund und forscht nach deren Einfluss auf Kultur und Lebensgewohnheiten der Menschen im Dreiländereck. Zudem sucht und findet sie augenzwinkernd kuriose Eigenheiten der kleinen Grenzorte in Deutschland, Frankreich und Luxemburg wie etwa lebensgroße Pappkühe am Straßenrand des französischen Dorfes Apach. Im Rahmen des 7. Europäischen Monats der Fotografie Berlin sind einige Werke vom 15. Oktober bis 12. November im Kunst- und Kreativhaus Potsdam zu sehen. „Man wüsste deutlich weniger übers Leben, wenn die Fotografie nicht wäre“, lautet das Credo der engagierten Fotografin, die in Zukunft gerne Kurse anbieten möchte. „Vom Aufbau eines Fotos übers Sortieren und Archivieren der Bilder bis hin zur Gestaltung eines Fotobuches verrate ich ambitionierten Hobby-Fotografen gerne Tipps und Tricks – selbstverständlich auch, wie man die nötige Geduld bei der Motivsuche aufbringt“, sagt Ruth Stoltenberg lächelnd.