Ein Nest für Alstervögel

Ein Nest für 60 Alstervögel Im Maschendrahtzaun klaffen große Löcher, überall wuchert das Unkraut hemmungslos - man muss schon Fantasie haben, um sich an diesem heruntergekommenen Ort sein neues Zuhause vorstellen zu können. Doch die haben Heiner Schoenen und seine Mitstreiter. Auf den ehemaligen Außenplätzen des Tennisvereins Volksdorf-Wensenbalken entsteht bis zum Frühjahr 2018 ein soziales, ökologisches und generationsübergreifendes Wohnprojekt mit Eigenheimen, Eigentums- und Mietwohnungen. Als Baugemeinschaft hat der Verein Alstervogel das Sahnegrundstück in der Steinreye in Volksdorf von der Stadt Hamburg für die Realisierung erhalten. „Es war ein hartes Stück Arbeit und hat viel Kraft gekostet, die Politik zu überzeugen“, erinnert sich Heiner Schoenen, der den Verein 2011 mitbegründete. Seit 20 Jahren lebt der 56-Jährige zur Miete in Volksdorf, seinem Hamburger Lieblingsstadtteil. „Ich hatte zunächst die Idee einer Wohngemeinschaft für gemeinsames Leben im Alter und musste feststellen, dass solche Projekte bisher nur in Hamburgs Mitte, jedoch nicht am Stadtrand realisiert wurden.“ Mit dem Initiator Stefan Fehlauer sowie 13 Freunden und Bekannten machte er sich auf die Suche nach einem geeigneten Grundstück und erweiterte das Konzept auf alle Alters-, Herkunftsklassen. Der Verein Alstervogel fand Unterstützung und Beteiligung der Buchdrucker Genossenschaft, zunächst die Anhandgabe und in diesem Jahr schließlich den Verkauf durch die Stadt Hamburg. Die rot geklinkerte, energieoptimierte Wohnanlage wird aus zwei Reihenhauszeilen mit jeweils sechs bzw. sieben Eigentumseinheiten bestehen. In einem Mehrfamilienhaus stehen elf Eigentumswohnungen zur Verfügung und die Genossenschaft bietet 18 Wohnungen zur Miete an. Ein Gemeinschaftsraum und ein großer Garten laden zum Miteinander ein. „Wir möchten in einer Gemeinschaft leben und uns gegenseitig unterstützen. Statt Anonymität setzen alle Mitglieder auf eine lebendige Nachbarschaft“, erläutert Petra Hardtstock das Konzept. Die 65-Jährige aus Poppenbüttel hält sich „noch zu jung für betreutes Wohnen“ - wie auch Herta Ludwig. Erfolglos versuchte sie lange, in Steilshoop gemeinsame Unternehmungen in ihrer Nachbarschaft zu organisieren – leider erfolglos. „Wer dagegen bei den Alstervögeln mitmacht, möchte mit anderen den Alltag mit einer Mischung aus Nähe und Distanz teilen“, ist sich die 75-Jährige sicher, „Geist und Atmosphäre werden besonders sein.“ „Bei unserem Bau-Projekt finden sich erst die Nachbarn und dann wird gebaut, sonst ist es immer anders herum“, ergänzt Ellen Schwarz-Wiegert (68). 60 Personen, darunter zehn Familien mit Kindern, haben sich bereits gefunden. Vor einem Plenum Eigentümern und Mietern hatte sich jeder Interessierte beworben; potentielle Neuzugänge wurden auf gemeinschaftlichen Wanderungen um die Volksdorfer Teichwiesen „getestet“. „Nicht jeder passte zu den Alstervögeln. So sind auch Bewerber wieder gegangen“, erzählt Heiner Schoenen. Inzwischen sind alle Häuser und Wohnungen vergeben. Reihenhäuser von 125 bis 140 Quadratmetern kosten im Mittel etwa 450 000 Euro, eine Eigentumswohnung mit 55 Quadratmetern rund 210 000 Euro. Für Mietwohnungen liegt die Staffelmiete bei zwölf Euro pro Quadratmeter, sechs Wohnungen werden über den sozialen Wohnungsbau gefördert. Jeder Alstervogel fand das passende Nest - so wie Kirstin (33) und Dimo (37). Seit fast drei Jahren wohnt die junge Familie in Barmbek-Süd. „Schon lange haben wir nach einem Bauplatz in den Walddörfern gesucht, aber nichts gefunden“, sagt die Lehrerin, „wir sind beide in Schneverdingen aufgewachsen und möchten auch unsere Kinder im Grünen groß werden lassen.“ Keine Frage, Liam (3) und Lenamarie (9 Monate) werden jede Menge Spielkameraden in der Nachbarschaft finden – und die Eltern auf Gegenseitigkeit motivierte Babysitter. Auch Guido Mayer freut sich auf umsichtige und tolerante Nachbarn. Der 48-Jährige erblindete vor sieben Jahren und gründete selber ein gemischtes Wohnprojekt für Blinde, Sehbehinderte und Sehende. „Das wird tatsächlich verwirklicht - allerdings in der Neuen Mitte Altona, doch dort ist es mir zu laut und rummelig.“ Wo jetzt noch der rote Grandbelag der alten Tennisplätze liegt, soll im Herbst der Rückbau starten; im Frühjahr 2017 wird mit dem Baubeginn gerechnet, der Einzug der ersten Alstervögel ist für den 5. März 2018 terminiert. Die künftigen Nachbarn in der Steinreye werden regelmäßig von der Baugemeinschaft auf dem Laufenden gehalten. Am 10. September findet von 15 bis 17 Uhr die nächste Info-Veranstaltung vor Ort statt und alle Interessierten sind herzlich eingeladen.