Kulturdenkmal statt Abrissbirne?

Unscheinbar drückt sich ein kleines blaues Haus am Kringelweg zwischen Wilstedt und Henstedt-Rhen in die Büsche. Für vorbeifahrende Autofahrer oder Besucher der naheliegenden Costa Kiesa sieht es aus wie eine Schreberkate, doch hinter der Fassade der abblätternden Holzplanken steckt ein seltener Zeitzeuge: 1946 gebaut, ist es eines von nur wenigen noch im ursprünglichen Zustand erhaltenen Behelfsheimen in Deutschland, die in den Nachkriegswirren für und von Ausgebombten und Flüchtlingen zusammengezimmert wurden. Es gab ihnen ein Dach überm Kopf und Sicherheit. Und nun ist es selber in Gefahr.

Seit gut vier Jahren möchte die Bauaufsicht Bad Oldesloe das Häuschen dem Erdboden gleich machen. Da es ohne Baugenehmigung erstellt wurde und im gemeindlichen Außenbereich liegt, für den kein Bebauungsplan existiert, gibt es keinen Bestandsschutz – so lautet die Erklärung. Zwar mussten die Eigentümer Thorsten Fixemer und Anuschka Thomas auf Druck der Behörde im Herbst 2013 ausziehen, dennoch kämpfen sie für den Erhalt des Gebäudes und wollen es als Kulturdenkmal unter Schutz stellen lassen.

14 Jahre haben die Künstler und Gründer des bekannten „Mobile Blues Clubs“ mit ihren Kindern auf den knapp 45 Quadratmetern gelebt – ohne fließendes Wasser, aber mit Holzofen, Strom und Telefonanschluss sowie Selbstversorgergarten. „Hier haben wir unsere Grundlage für Glück, Freiheit und Inspiration gefunden“, sagt Thorsten Fixemer. Ebenso vorherige Bewohner wie Familie Kerinnes, die aus dem ostpreußischen Golda bei Königsberg (heute Kaliningrad) kommend hier Zuflucht fand und dem Häuschen seinen Namen gab.

„Das Haus und seine Geschichte sind von öffentlichem Interesse“, ist Fixemer überzeugt. Unterstützung erhält er von den Gemeindearchivaren Raymund Haesler aus Tangstedt und Volkmar Zelck aus Henstedt-Ulzburg, die ein Gutachten erstellen und vorlegen wollen, um den Schutzbedarf des historischen Bauwerks zu verdeutlichen – spätestens am 30. September, denn solange ist die Abrissaufforderung aufgeschoben. Sogar das Stadtmuseum Norderstedt hat signalisiert, bei der Rettung des Häuschens mitzuwirken. Möglicherweise kann von der örtlichen Politik der Bebauungsplan mit einem Sonderrecht versehen werden. „Es ist wichtig Geschichte zu bewahren und Bürger dafür zu sensibilisieren“, bekräftigt Raymund Haesler, „zudem ist das Haus nahezu im Originalzustand und hat daher Alleinstellungsmerkmale für den norddeutschen Raum.“ Lediglich in drei bayerischen Freilichtmuseen werden ähnliche Bauten bewahrt, in Warendorf-Milte ist ein Behelfsheim unter Denkmalschutz gestellt worden.

Nach Ideen der Eigentümer soll der Ort zu einem Micro-Museum und Kulturtreff werden. „Wir möchten Konzerte und Lesungen veranstalten, aber auch eine Ausstellung einrichten mit Dokumenten und Fotos aus der Flüchtlings- und Nachkriegszeit sowie über junge Juden informieren, die auf dem benachbarten Brüderhof von 1933 bis 1939 für ihre Ausreise nach Palästina in der Landwirtschaft ausgebildet wurden“, erzählt Anuschka Thomas. Bereits in diesem Frühling soll wieder Leben im und ums Kerinnes-Haus herrschen. „Wir denken an eine Ostereieraktion, laden Musiker ein und möchten den Wald-Kindergarten und die Behindertenwerkstatt Norderstedt einbinden, um den Selbstversorgergarten wieder in Schuss zu bringen. Darüber hinaus werden wir einen Förderverein gründen und hoffen auf viele Unterstützer und Sponsoren.“ Kontakt und Informationen gibt es unter Tel. 0176/63 71 71 96.