Im Mittelalter trug der Vogt die Verantwortung für die Bauern eines Dorfes. Entsprechend tragen heute die Mitarbeiter des Vogthofes in Ammersbek die Verantwortung für hilfebedürftige Menschen. In der neben dem gemeindlichen Kulturzentrum idyllisch gelegenen Einrichtung finden derzeit 33 Bewohner ihr Zuhause auf Lebenszeit.
1985 gründeten vornehmlich Eltern aus dem Hamburger Norden die „Sozialtherapeutische Arbeitsgemeinschaft Walddörfer e.V.“, um einen Lebensort auf anthroposophischer Grundlage für volljährige Menschen mit schwerer Behinderung und ihre Betreuer zu schaffen. Nach Kauf, Um- und Anbau des ehemaligen Hofes der alteingesessenen Ammersbeker Bauernfamilie Dassau entstand dort von 1988 bis 1998 ein Lebensraum in vier Wohnhäusern, der sowohl individuellen Bedürfnissen der Bewohner als auch der Gemeinschaft gerecht wird. Darüber hinaus leben 16 Bewohner in zwei Außenwohngruppen am Schüberg in Ammersbek und in Hamburg-Wellingsbüttel. Letztere werden jedoch bald in einen barrierefreien Neubau gegenüber des Vogthofes umziehen, der auch vier Plätze für Pflegebedürftige im Alter vorsieht.
„Heilsam ist nur, wenn im Spiegel der Menschenseele sich bildet die ganze Gemeinschaft und in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft“, ist ein Leitsatz Rudolf Steiners. „Dessen anthrosophische Menschenkunde ist die Grundlage unserer Arbeit im Vogthof“, sagt Ansgar Frankenstein. „Offenheit, gegenseitig hohe Wertschätzung, Zeit für Menschlichkeit und Gespräche bestimmen unser Miteinander. Dazu zählt nicht nur die gesetzlich vorgesehene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sondern auch die Chance der Teilgabe der Bewohner in ihren Lebensbereichen“, erklärt der Sozialtherapeut, der seit fünf Jahren den Vogthof mit etwa 70 Mitarbeitern leitet. Neben vielen künstlerischen Angeboten, Klangschalen-Therapie und Eurythmie wird Wert auf wiederkehrende Tagesstrukturen gelegt, an denen sich die Bewohner orientieren und Halt finden. Dazu zählen Feiern christlicher sowie jahreszeitlicher Feste, außer dem hat nahezu jeden dritten Tag ein Bewohner oder Betreuer Geburtstag, der individuell begangen wird.
Schon in der ehemaligen Scheune des Bauernhofes wurde in den Anfängen des Vogthofes eine Holzwerkstatt sowie eine Töpferei eingerichtet, in denen die Bewohner je nach Neigung und Befähigung eine sinnvolle Tagesbeschäftigung nachgehen sollten. Später kamen Glas-, Papier- und Kerzenziehwerkstätten hinzu; einige Bewohner kümmern sich in der hofeigenen Wäscherei und Großküche um das Wohl ihrer Mitmenschen. „Die Werkstätten waren und sind nicht auf Verkaufsproduktion ausgelegt, sondern dienen der Alltagsstruktur – das gilt auch für Tagesbetreute, die aus anderen Einrichtungen zu uns kommen. Zudem stärkt das eigene Schaffen das Selbstbewusstsein“, betont Ansgar Frankenstein. Konzentriert arbeitet Katharina mit einem Meißel, schält Span für Span aus einem großen Holzblock. Was unter den Händen der mehrfach gehandicapten Rollstuhlfahrerin entsteht, ist eine wunderschöne Schale aus grob gemasertem Eschenholz, ein Unikat und Schmuckstück für jeden Tisch. Eine Tür weiter kreiert Nina ein farbenprächtiges Mandala aus bunten Glasscherben. Mit Lötzinn eingefasst wird daraus ein einzigartiges Fenstermosaik. Arbeit und Können wird honoriert. Jedes Jahr strömen Hunderte Besucher auf den Frühlingsmarkt des Vogthofes, um individuelle Kunst- und Alltagsgegenstände zu kaufen – Becher und Teller aus Keramik, Tonobjekte für Fensterbank und Garten wie neckische Wasserspeier oder Blumentöpfe mit fröhlichen Henkelgesichtern, Obstschalen aus Holz sowie bunte Fensterhänger aus Glas. Wie ein Rundlingsdorf sind die Wohn- und Werkstattgebäude um ein Rasenrondeel herum angelegt, an dessen Kopfseite das einstige Bauernhaus mit seiner herrschaftlichen Eingangstür steht.
Finanzielle Unterstützung erhält der Vogthof durch die Förderstiftung, die 2008 ihre Anerkennung durch das Innenministerium Schleswig-Holstein erhielt. Etwa 50 Spender tragen mit einem erheblichen Spendenaufkommen zum Wohl und Wirken bei. Die Anfragen nach einem Wohnplatz kommen aus dem gesamten Bundesgebiet; die Warteliste ist lang. Auch bei Praktikanten ist der Vogthof gefragt – sogar weltweit. „Wir hatten bereits Mitarbeiter aus 30 Ländern, die einige Zeit bei uns waren“, weiß Ansgar Frankenstein. Vor vier Wochen kam Danielle aus Togo nach Ammersbek. Ein Jahr wird sie auf dem Vogthof bleiben. „Die anthroposophische Ausrichtung entspricht meinem Menschenbild“, sagt die 21-Jährige. Ich werde in dieser Einrichtung viel für meine berufliche Zukunft lernen, denn auch ich möchte Verantwortung für hilfebedürftige Menschen übernehmen.“