Ganz normaler Familienwahnsinn, oder nicht?

Birte Müller ist Bilderbuchillustratorin, Autorin und Mutter eines behinderten Sohnes

 

„Ich habe deutlich mehr Ideen als Zeit“, sagt Birte Müller lachend und stopft eilig die Geranie in einen Gummistiefel, der statt eines Blumenkastens fröhlich am Fenstergeländer ihres Endreihenhauses baumelt. Neben einem selbst diagnostizierten „Bastelzwang“ seit Kindertagen, der die Anfertigung von kreativen Geschenken aller Art, Faschingskostüm-Schneiderei und das Gestalten von allerlei Krimskrams beinhaltet, schreibt die Volksdorferin Bücher und Kolumnen für „Spiegel online“ und „a tempo“ sowie Drehbücher, illustriert Bilderbücher, die in über 20 Ländern verlegt sind und veranstaltet Workshops und Lesereisen rund um den Globus.

 

Herausforderung Down-Syndrom

 

Als sprudelnde Inspirationsquelle fungiert größtenteils die eigene Familie. Das sind neben Ehe- und Kameramann Matthias ihre gemeinsamen Kinder Willi und Olivia. Während die Achtjährige mit einem „Normal-Syndrom“ auf die Welt kam, brachte Willi vor zehn Jahren das Down-Syndrom mit. Das macht den ganz normalen Familienwahnsinn noch ein Stück mehr herausfordernd – manchmal auch überfordernd.

Und über das alles schreibt Birte Müller – über ihre Sorgen und Freuden, entwaffnend offen, selbstkritisch und humorvoll. „Es sind Episoden aus unserem Alltagsleben mit einem behinderten Kind in einer vermeintlich so integrativen Gesellschaft, die ständig nach Leistung des Einzelnen fragt“, sagt die 44-Jährige. Gerade hat sie erfahren, dass ihr am 14. September anlässlich des Harbour Front Literaturfestivals den mit 3000 Euro dotierten Preis „Hamburger Tüdelband“ verliehen wird – „Wahnsinn, ich freu’ mich riesig.“

Aus ihrer langjährigen Kolumne „Willis Welt“ entstand 2014 das gleichnamige Buch; in diesem Jahr erschien die Fortsetzung „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Themen wie Einschulungsirrsinn, Therapieterror und Premiumkinder werden von Birte Müller schonungslos und doch augenzwinkernd unter die Lupe genommen. „Die Bücher sind ein Plädoyer für Menschen, die besondere Geschenke sind“, sagt die Autorin und zitiert den Lyriker Erich Fried: ‚Das Leben wäre vielleicht einfacher, wenn ich Dich nicht getroffen hätte. Es wäre nur nicht mein Leben.’

 

Bilderbücher sollen Spaß machen

 

Doch die hyper-kreative Hamburgerin, die in der Hansestadt Illustration und in Mexiko freie Malerei studiert hat, schreibt nicht nur unterhaltsame Bücher für „Große“. Ihre farbenfroh illustrierten Bilderbücher wie etwa „Auf Wiedersehen, Oma“, „Fritz Frosch pupst“ oder „Weißt Du auch was in der Nacht Fledermausi gerne macht?“ erzählen anrührende, aber auch spannende Geschichten für kleine Leute. „Es muss nicht immer pädagogisch wertvoll sein, ein Buch soll in erster Linie Spaß machen“, sagt die Künstlerin.

2012 erschien eines ihrer emotional wohl wichtigsten Bilderbücher: „Planet Willi“, das sogar für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert war. In naiv gemalten Bildern erzählt es von einem besonderen Kind, das von einem anderen Planeten kommt und es auf der Erde manchmal schwer hat, sich zurechtzufinden. Aber es liebt das Leben sehr und wir Erdenmenschen können noch viel von ihm lernen. Mit starken Bildern und starken Worten nimmt Birte Müller kleine und große Leser mit auf die Reise in die Welt ihres Sohnes Willi und vermittelt ausdrucksstark das Thema Andersartigkeit und Behinderung.

 

„Welches Kind magst Du lieber?“

 

Einladungen in Hamburger Grundschulen zeigen die Bedeutsamkeit für das Thema. „Bei meinen Lesungen habe ich auch Filme und Fotos von Willi dabei, damit die Kinder sehen, dass er ‚echt’ ist.“ Die Mädchen und Jungen seien generell neugierig, möchten Zeichen aus der Gebärdensprache lernen und fragen frei heraus, etwa welches ihrer Kinder Birte Müller wohl lieber hat. „Ganz klar: beide gleich!“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Es sei schwierig zeitlich die Balance zu wahren, da Willi mehr Zuwendung benötige, „aber im Großen und Ganzen kriegen wir das alles gut hin.“

Durch „seine“ Bücher ist Willi ein bisschen „berühmt“. Manchmal wird die Familie auf Spielplätzen erkannt – der Preis für ein „öffentliches Leben“. Doch damit haben die Müllers kein Problem – auch Willis Schwester nicht. Olivia spricht den Text im Animationsfilm „Planet Willi“, den Sören Wendt 2015 drehte und gibt im KiKa vor der Kamera Basteltipps in der „Sendung mit dem Elefanten“. Kein Wunder, denn das Bastel-Gen hat die Achtjährige – ganz offensichtlich –von ihrer Mutter.