Der Verein Hölderlin berät, begleitet und unterstützt psychisch Erkrankte in Volksdorf
Depression ist eine anerkannte Volkskrankheit, dennoch werden Betroffene häufig stigmatisiert und gesellschaftlich ausgegrenzt. „Viele sprechen lieber von ‚Burn out’ – das klingt gefälliger und zeitgemäßer, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass sie Hilfe brauchen“, sagt Peter Borchardt, Leiter des Vereins Hölderlin. Die Einrichtung im Herzen Volksdorfs unterstützt seit fast 25 Jahren Menschen, die unter Depression leiden, an Schizophrenie erkrankt sind, Psychosen oder andere schwere psychische Probleme haben. Auslöser können genetische Anlagen, hohe Sensibilität , Überforderung durch Schule, Studium oder Beruf, Schicksalsschläge, traumatische Erfahrungen, aber auch Lebensveränderung sein etwa durchs „Eltern-Werden“. Oftmals werden Belastungen über lange Zeit kompensiert, bis schließlich alles kollabiert. Viele Klienten sind in ärztlicher Behandlung oder waren bereits in einer Fachklinik.
Aus Förderkreis wurde ein Verein
„Anfang der 1990er Jahre waren die Walddörfer ein weißer Fleck in puncto ambulanter Unterstützung für Betroffene“, erklärt der erfahrene Sozialarbeiter und Therapeut. Er gab nicht nur den Impuls, 1992 einen Förderkreis und ein Jahr später Hölderlin e.V. zu gründen, sondern zeichnet auch verantwortlich für die konzeptionelle Ausrichtung des Psychosozialen Zentrums Volksdorf. Mit 32 Plätzen nahm der junge Verein 1993 die Arbeit der Tagesstätte in der Claus-Ferck-Straße hinter der Tankstelle auf. Zehn Jahre später folgte der Umzug ins „Frank’sche Kontor“. „Ohne Vorbehalte und mit großem Interesse des Vermieters für unsere Arbeit – bis heute“, wie Peter Borchardt dankbar betont.
Struktur und Stabilität für den Alltag
Rund 70 Besucher hat die Einrichtung – viele kommen täglich und über Jahre hinweg –, zudem eine Zweitstelle in Ahrensburg und drei ambulant betreute Wohngruppen in Duvenstedt. Ziel ist, den Menschen Alltagsstruktur, Stabilität und sinnvolle Beschäftigung zu geben. „Sie finden bei uns einen geschützten Bereich, in dem sie angenommen, respektiert und gefördert werden“, sagt Barbara Claußen von der Geschäftsführung des Vereins. „Unsere Mitarbeiter zeichnen sich durch fachliche Kompetenz, Empathie und Verantwortungsbewusstsein aus und sind vom ersten Augenblick auf Augenhöhe mit dem Klienten – das schafft eine Atmosphäre des Geborgenseins und des Wohlfühlens. Schon eine entsprechende Grundhaltung kann etwas Heilendes für tief verunsicherte Menschen haben.“
Suche nach einem Sinn im Leben
Die Angebote sind vielfältig und die Therapeuten im engen und vertrauensvollen Austausch miteinander. Von Kunstgruppen, Chor und Theater über Schreibwerkstatt, Philosophiegruppe und Band bis hin zu Walking- und Sporttreffen sowie Einzelbetreuung lernen die Besucher wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. „Es geht darum, Rückzug und Isolation zu überwinden, mit Anderen ins Gespräch zu kommen, Interessen zu wecken, Neues zu entdecken und sich etwas zuzutrauen“, erläutert Peter Borchardt, „kurz gesagt, wieder einen Sinn im Leben zu finden.“ Farben, Töne und Buchstaben helfen niedrigschwellig, sich in Sinnkrisen ausdrücken zu können. Oftmals sind die Betroffenen erstaunt, welche Fähigkeiten in ihnen stecken – und auch die Öffentlichkeit. Regelmäßig werden Kunstwerke etwa in umliegenden Arztpraxen ausgestellt und Artikel in der „Hölderlin-Zeitung“ veröffentlicht. Die Band „Stormy Life“ tritt Hamburg weit auf Veranstaltungen und Familienfeiern auf.
Austausch unter Angehörigen
„Erfolge steigern Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl“, verdeutlicht der 65-Jährige. Er wird im Februar 2018 seinen Posten an den langjährigen Kollegen Michele Quacquarelli übergeben, der die fachliche Arbeit von Hölderlin e.V. weiterführen wird. Eine wichtige Arbeit ist auch die offene Angehörigengruppe, die sich jeden dritten Mittwoch im Monat von 17 bis 19 Uhr nach Anmeldung in Volksdorf trifft, um Gedanken, Sorgen und Problemlösungen auszutauschen, Verständnis für die Erkrankten zu entwickeln und sie ebenfalls unterstützen zu können. Claudia Blume
Dichter Hölderlin als Namensgeber
Der Name der Einrichtung geht auf den deutschen Dichter Friedrich Hölderlin (1770 bis 1843) zurück, der 1806 wegen des „Zustandes geistiger Verwirrung“ in eine Klinik eingewiesen wurde. Nach seiner Entlassung sagten ihm die Ärzte nur noch drei Lebensjahre voraus. Dank der Pflege eines Schreinermeisters wurden daraus 36 Jahre, die der Poet in dessen Haus in Tübingen verlebte, dichtete, zeichnete und Klavier spielte – eine Frühform außerklinischer, ambulanter Versorgung und Förderung eines psychisch Erkrankten.