Norderstedt Um sechs Uhr morgens ist für Sina Rudbari Schichtbeginn bei Matzen & Timm am Nordportbogen. Während seine Kollegen nach der Mittagspause in die Werkhalle zurückkehren, geht der 30-jährige Iraner eine Treppe höher in einen Konferenzraum. Dort wartet Andreas Steinbrück auf ihn. Er ist Deutschlehrer und damit beauftragt, acht Männern aus Syrien, Eritrea, Afghanistan, Mazedonien, Albanien und dem Iran intensiv und individuell die deutsche Sprache und Grammatik beizubringen. Ein weiterer Trainer vermittelt produktspezifisches Fachtraining und –vokabular. Wohlgemerkt während der Arbeitszeit. Gut gefüllte Auftragsbücher ließen den Leichtbauspezialisten der weltweit tätigen Masterflex Group vergangenen Herbst neue Mitarbeiter für den Produktionsbereich suchen. „Wir wollten neue Wege bei der Rekrutierung gehen und zudem geflüchteten Menschen eine Chance bieten“, sagt Geschäftsführer Dirk Baumann. Zweimal pro Woche für jeweils drei Stunden kommen die Trainer ins Haus – das spart den Schülern lange Wege und dem Unternehmen Arbeitsausfall, weil der Unterricht auf die Schichtpläne abgestimmt wird. Zudem gibt es einen Coach, der bei Behördengängen hilft, Verhaltenstraining macht und erklärt „wie Deutschland funktioniert“ Etwa, dass Anweisungen von weiblichen Vorarbeitern uneingeschränkt gefolgt werden müssen, was in vielen Kulturen nicht selbstverständlich ist. „Kaufmännisch rechnet sich das Projekt noch nicht. Es ist eine Investition, die sich später auszahlt“, glaubt Dirk Baumann. „Integration muss zeitgleich über Sprache und Arbeit erfolgen, doch dafür fehlen in Deutschland Strukturen. Es gibt zwar viele Träger und Initiativen, die jedoch nicht aufeinander abgestimmt sind. Deshalb warten viele Arbeitgeber lieber ab, statt selber aufwändig aktiv zu werden.“ Die Norderstedter suchten sich zunächst einen erfahrenen Partner, um das ehrgeizige Projekt anzugehen. Den fanden sie im Rahmen einer Weiterbildungsberatung mit der Hamburger Personalberatung zwei P:Personal gGmbH, einer Tochter der Stiftung Berufliche Bildung. Die wiederum hat das Ziel, benachteiligten Menschen, ausdrücklich auch Flüchtlingen, den (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Es wurden aus fast 300 potentiellen Kandidaten 40 ausgewählt, auf einer Art Hausmesse Unternehmen, Produktion und Arbeitsweisen kennenzulernen. Zehn interessierte Bewerber absolvierten im Anschluss ein 14-tägiges Praktikum und acht von ihnen erhielten im November einen Arbeitsvertrag – darunter auch Sina Rudbari. Der junge Iraner ist Flugzeugingenieur und fertigt nun in einem kleinen Team flexible und passgenaue Industrieschläuche für die Auto- und Luftfahrtindustrie: „Ich bin glücklich, die Chance für einen Neuanfang bekommen zu haben. Alle Mitarbeiter haben viel Geduld und Zeit, sind freundlich und offen bei Problemen.“ Abdulrahim Alhindawi (32) hat in Syrien an der Fachhochschule für Metalltechnik studiert und als Fräser gearbeitet; Hussein Ramada (29) als Tischler in Eritrea, der Albaner Gazmend Haruni (45) als Lagerist. Alle Männer eint handwerkliches Talent. Plus Sorgfalt, Ausdauer und Liebe zum Produkt waren das die Auswahlkriterien für Werksleiter Kay Hölterling. Der gezeigte Arbeitseinsatz gäbe dem Erfolg des Projektes recht. „Unsere neuen Mitarbeiter haben eine Perspektive und sind daher sehr motiviert.“ Bei der Stammbelegschaft kommt das Engagement gut an. Die „Neuen“ sorgen für Entlastung beim Auftragsdruck und die Chefetage freut sich über eine steigende Produktionsleistung. Ohnehin gehört Multikulti bei Matzen & Timm zum Betriebsalltag – 120 Mitarbeiter mit 23 Nationalitäten zählen zur Mannschaft. Und so sind Sina Rudbari und Co. in wenigen Monaten bereits zu wertvollen Teamplayern geworden und fallen nicht wirklich auf – außer, dass sie zweimal pro Woche nach der Mittagspause nicht an den Arbeitsplatz zurückkehren, sondern in einem Konferenzraum Deutsch lernen.