Norderstedt Im Klassenchat der 7c geht’s hoch her. Hat jemand Ahnung, wie die Mathehausaufgabe gelöst wird? Wer hat Luisas Füller eingesteckt? “Lustige“ Fotos von Mitschülern in unvorteilhaften Posen gibt’s auch zu sehen. Und dann tragen Elena und Janina öffentlich noch ihren Zickenkrieg aus. “Vieles gehört gar nicht in den Klassenchat“, meint Wassila, die genervt ist von Nachrichten, die bis nach Mitternacht verschickt werden. Die 13-Jährige wünscht sich klare Regeln für den Umgang im Chat und bekommt darin Unterstützung von Karolina und Malte.
Die beiden Neuntklässler kennen sich bestens mit Social Media aus. Im Rahmen des Wahlpflichtunterrichtes haben sie und 15 weitere Schüler sich für einen Kurs entschieden, in dem sie mit Hilfe eines Online-Programms zu “Digitalen Helden“ ausgebildet werden. Das gewonnene Wissen über Risiken und Chancen, Tipps und Tricks im Netz geben die jungen Internet-Experten als “Student Teacher“ an Fünft- bis Siebtklässler weiter.
Das Norderstedter Lise-Meitner-Gymnasium (LMG) ist bisher die einzige Schule in Schleswig-Holstein, die das hessische Mentorenprogramm nutzt, das 2014 von Medienpädagogen, Rechtsanwälten, Psychologen und der Polizei entwickelt wurde. Im kommenden Schuljahr wird auch das Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Quickborn dabei sein.
LMG-Lehrerin Daniela Thol hatte das “Tool“ zufällig beim “Surfen“ entdeckt und spontan die Lions Clubs Norderstedt und Forst Rantzau als Förderer für 30 Online-Zugänge im Wert von 690 Euro gewonnen. “Wir registrieren bei den Schülern immer öfter Konflikte und Konfrontationen im unbedarften Umgang mit dem Internet. Für sinnvolle und sichere Nutzung digitaler Medien besteht massiver Handlungsbedarf“, betont die 40-Jährige.
Nun stehen Karolina und Malte vor den Schülern der 7c. WhatsApp-Stress kennt jeder von ihnen, auch Kettenbriefe mit Gewaltandrohungen haben die meisten bereits erhalten. “Löschen, nicht weiterverbreiten und den Absender blockieren“, raten die “Digitalen Helden“ und entlarven vermeintlich “sichere“ Sperr-Codes: Finger hinterlassen Fettspuren auf dem Display, sodass Fremde oder Diebe Streichmuster erkennen und nutzen können – besser eine wechselnde PIN mit Sonderzeichen oder einen Fingerabdruck zum Entsperren verwenden.
Fabian ist sichtlich beeindruckt von den Fakten und der “Helden“-Kompetenz. “Die beiden kennen sich aus und sind mit uns auf einer Wellenlänge – im Gegensatz zu vielen Erwachsenen, die nicht so viel Ahnung haben“, sagt der 13-Jährige. Auch Cybermobbing ist ein Thema beim Klassenbesuch. “Oft trauen sich Jugendliche nicht, mit den Eltern darüber zu reden, weil sie sich nicht verstanden fühlen – auch dafür sind wir da“, sagt Karolina, “wer online Stress oder Angst hat, erreicht uns jederzeit per Mail unter digitalehelden.lmg@gmail.com oder auf Instagram unter digitalehelden.lmg. “Wir hoffen mit dem Besuch unsere Mitschüler zu sensibilisieren, damit sie künftig überlegter mit ihren Daten umgehen, denn eines ist klar: Das Internet vergisst nie. Unkontrolliert hochgeladene Bilder in peinlichen Situationen können einen noch Jahre später verfolgen.“
Und: Die Anonymität des Internets hält viele Schein-Freundschaften bereit. Wörter sind schnell geschrieben, aber wie ehrlich? Eine Tatsache, die auch bei den “Digitalen Helden“ Veränderung bewirkt. “Ich suche inzwischen bewusst den direkten Kontakt – und wenn’s über einen WhatsApp-Anruf ist“, sagt Karolina.
Damit auch die Erwachsenen in Sachen Internetsicherheit auf dem Laufenden sind, werden die “Digitalen Helden“ ab dem kommenden Schuljahr auch Elternabende mitgestalten. Für die Homepage der Schule arbeiten sie zudem gerade an einem Video.