Der Flüchtling, der anderen helfen möchte

Norderstedt Zieh-Fix, Stützkrümmer, Sammelstück – angesichts Dutzender Fachbegriffe schwirrt bereits deutschen Laien der Kopf. Wie schwer muss das Erlernen der Feuerwehrsprache erst für Ausländer sein? „Ich schaue viele Wörter im Internet in meiner Muttersprache Dari nach, um sie zu verstehen“, sagt Ghulam Rasool Khalili und lächelt breit. Der junge Afghane ist mit Feuereifer bei der Sache. Jeden zweiten Dienstag erscheint er pünktlich um 19 Uhr zum Dienstbeginn bei der Freiwilligen Feuerwehr Harksheide – seit einem halben Jahr.

Weit hat er es nicht – der 31-Jährige wohnt direkt hinter der Feuerwache am Schützenwall in einem kleinen Containerdorf. Rund 80 geflüchtete Menschen leben dort, doch Ghulam ist der einzige, der sich bei der Feuerwehr engagiert. Das gilt nicht nur für die lokale Feuerwache in Harksheide, sondern für alle Wehren in Norderstedt.

Harksheides Wehrführer Henrik Liesner freut sich über seinen „exotischen“ Neuzugang, hätte gerne noch mehr Interessierte aus den Reihen der Flüchtlinge. Der Bedarf ist da, doch Uniformen und Sirenen jagen vielen dieser Menschen Angst ein, die damit oftmals schreckliche Erlebnisse auf ihrer Flucht verbinden“, sagt der 47-Jährige und zeigt Verständnis für die Skepsis bei den Neu-Norderstedtern. Im Sommer vor zwei Jahren gab es ein Grillfest auf dem Gelände der Wache, um die Hemmschwelle zu senken. „Wir wollten zeigen, was wir hier machen, wenn’s mal laut wird und wir ausrücken.“

Zum Gucken kamen einige, doch geblieben ist einzig Ghulam. „Mich fasziniert die Technik, die Gemeinschaft und die Möglichkeit, Menschen in Not zu helfen“, sagt der schmächtige Mann. Vor gut zwei Jahren kam er nach Norderstedt, war zuvor drei Jahre in Russland, erlebte Diskriminierung pur. „Als Afghane bist du dort nichts wert und das lässt dich jeder spüren“, sagt Ghulam leise. Anders in Harksheide, wo er herzlich aufgenommen und sofort in die Wehr integriert wurde. „Ich gehöre dazu“, erklärt er unaufgeregt. Doch der Stolz ist ihm anzumerken, auch anhand der Körperhaltung, mit der er das dunkelblaue T-Shirt trägt, auf dem das Feuerwehr-Logo prangt.

„Im Vorstand waren wir uns gleich einig, dass wir’s probieren. Schließlich bildet die Feuerwehr einen Querschnitt unserer Gesellschaft ab. Bei uns ist jeder, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft, willkommen“, bekräftigt Henrik Liesner.

Für Ghulam heißt das: Er ist bei allen Diensten in der Wache dabei, lernt die verschiedenen Geräte und den Umgang mit ihnen kennen und fährt auch zu Übungen raus – vom inszenierten Löschen von Gebäudeteilen bis zur simulierten Personenrettung. Besonders haben es dem Afghanen die imposanten Feuerwehrfahrzeuge angetan. Kein Wunder, schließlich hat er in seinem Heimatland als LKW-Fahrer gearbeitet.

Doch bis es so weit ist, dass Ghulam hinter dem Steuer des Löschgruppenfahrzeugs Platz nehmen darf, wird es etwas dauern. Zunächst Seit macht er bei einer Quickborner Spedition eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer. Im kommenden Jahr möchte der junge Mann die Grundausbildung zum Feuerwehrmann beginnen. Und das mit dem Namensschild auf seiner Schutzkleidung bekommen die Kameraden bis dahin auch noch hin – schon zwei Mal musste das gute Stück wegen eines Schreibfehlers zurückgehen…