Norderstedt/Tangstedt Pferdebesitzer in und um Norderstedt haben Angst um ihre Vierbeiner. Vier Schulponys des Norderstedter Sportvereins (NSV) sind an der Drüse erkrankt. Diese hoch ansteckende Infektion wird durch Streptokokken ausgelöst. Die Drüse greift vor allem die Atemwege an. Die tierischen Patienten haben Fieber, eitrigen Nasenausfluss, Schluckbeschwerden und geschwollene Lymphknoten. Im schlimmsten Fall befällt der Erreger Brust- und Bauchhöhle oder das Gehirn und kann tödlich verlaufen. „Unsere Ponys wurden bereits am Wochenende in einem abgesperrten Bereich separiert und werden vom Tierarzt mit Antibiotika und Immunaufbauspritzen behandelt“, erklärt Steffen Liepold, NSV-Geschäftsführer.
Bis nach den Osterferien wird der Reitschulbetrieb ausgesetzt, um weitere Ansteckungen bei den rund 50 weiteren Tieren zu verhindern. Es herrscht Quarantäne – kein Pony oder Pferd darf den Hof verlassen.
Für die Versorgung der erkrankten Tiere gelten strenge Hygienemaßnahmen wie die Verwendung von Einmalkleidung, Schuhüberziehern und Desinfektionswannen.
Der NSV geht bewusst in die Informations-Offensive – auch per Facebook. „Es kursierten so viele Gerüchte – auch aus den eigenen Reihen –, die wir mit echten Fakten eliminieren. Das sind wir der Reiterschaft in und um Norderstedt schuldig“, betont Liepold.
Für die Offenheit gibt’s nicht nur online Lob – auch vom Geschäftsführer des Pferdesportverbandes Schleswig-Holstein. „Aktuell wird gefährliches Halbwissen verbreitet und verursacht unnötig Panik unter den Pferdeleuten“, weiß Matthias Karstens. Er meint damit die Gerüchteküche, die in sozialen Netzwerken brodelt. Dort entwickelte sich in den vergangenen Tage eine regelrechte Hysterie - nicht wegen der Druse beim NSV, sondern wegen des Ausbruchs des gefährlichen Herpesvirus.
Die vier Typen des Virus führen von Fieber über Lähmungen bis zum Tod des Tieres. Das Virus grassiere in Norderstedt und Tangstedt, meldete der NDR unlängst und berief sich auf eine entsprechende Mitteilung des Kreisveterinäramtes Segeberg. Klarer Fall von klassischer Desinformation? Das Kreisveterinäramt Segeberg rudert zurück. „Uns ist mitgeteilt worden, dass es Herpesvirusinfektionen im Raum Norderstedt und Tangstedt geben soll. Allerdings sind diese Erkrankungen weder anzeige- noch meldepflichtig, daher haben wir keine weiteren Informationen“, erklärt Amtsleiter Markus Overhoff.
Die Desinformation sorgt bei Dörte Korff auf ihrem Pferdehof in Tangstedt für Stress.
Seit zwei Tagen gibt ihr Telefon keine Ruhe. „Immer wieder rufen Eltern von Reitschülern an und fragen, ob ihre Kinder überhaupt auf den Hof kommen dürfen – wo doch die Pferdeseuche im Dorf ausgebrochen sei“, berichtet die Inhaberin von „Fortys Farm“ in Tangstedt. Dabei gibt es in Tangstedt weder Herpes- noch Druse-Fälle.
Die Reaktionen in den sozialen Netzwerken überschlagen sich, Vermutungen und Gerüchte über mögliche „Tatort-Ställe“ machten die Runde. Auf Facebook-Seiten wie „Herpes um Hamburg“ herrscht virtuelle Panik.
Pferdehalter wie Malte Wegener sind alarmiert und verunsichert, schließlich verlor er 2017 bereits zwei Pferde an das tückische Virus. „Ganz klar, die Angst ist wieder da“, sagt der Stallbetreiber in Glashütte. Dressurausbilder Wieger de Boer hat sogar ein Turnier auf seiner Garstedter Anlage für dieses Wochenende abgesagt. „Die Gefahr ist zu groß, dass Teilnehmer und Besucher das Virus mitbringen und später in ihren Heimatställen verteilen“, so der Profi-Reiter.
Doch von akuten Herpesfällen haben weder Karstens noch Tierärzte Kenntnis. Vor einigen Wochen wurde einzig eine leichte Form der Infektionskrankheit bei einem Offenstallpony am Rantzauer Forst diagnostiziert. „Der Patient ist über den Berg und hat keine vierbeinigen Kumpel angesteckt. In Tangstedt ist das Virus gar nicht aufgetaucht“, versichert eine Tierärztin, die sich regelmäßig mit ihren lokalen Kollegen austauscht.
In Tangstedt ärgert sich Dörte Korff über die sinnlose Verunsicherung von Pferdehaltern und Reitschülern – auch in den sozialen Medien. „Information ja – Spekulation nein! Würde nicht immer öfter unbedarft und unreflektiert mit Informationen umgegangen, wäre die Herpes-Hysterie erst gar nicht entstanden“, sagt die Reitlehrerin.
Der NSV appelliert an die Solidarität der regionalen Pferdefreunde. „Wir würden uns sehr über finanzielle Unterstützung für die hohen Tierarztkosten sowohl über Spenden in Form von Desinfektionsmitteln, Gummihandschuhen und Einmalkleidung freuen“, sagt Sören Banse von der Reitabteilung und bittet, sich vorher unter Tel. 040/526 795 07 zu melden.