Auf dem Weg zum Großmeister

Ashot Parvanyan lebt Schach, denkt Schach und träumt Schach. Auf die Frage nach seinem Berufswunsch gibt es – kaum verwunderlich – eine klare Antwort: Schach-Profi. Der 18-jährige Norderstedter ist auf dem Weg dahin. Noch steckt er in den Prüfungen für seinen Schulabschluss an der Gemeinschaftsschule Friedrichsgabe, doch Ende Juni will er als Denksportler durchstarten und mit dem Spiel der Könige Geld verdienen.

Damit der Plan aufgeht, investiert der junge Armenier, der vor zweieinhalb Jahren mit seiner Familie nach Norderstedt kam, viel – vor allem Zeit. Bis zu fünf Stunden verbringt er vorzugsweise am Computer, um Partien namhafter Schachgrößen nachzuspielen, zu analysieren, deren Taktik nachzuvollziehen. Mit Erfolg, denn Ashot kann selber bereits beachtliche Turnierleistungen international vorweisen.

Als Elfjähriger gewann er in Georgien den Europa-Cup in seiner Altersgruppe – als Prämie gab es ein Laptop. 2017 erreichte er einen dritten Platz bei den Offenen Deutschen Meisterschaften der U25-Junioren und nach Platz zwei 2018 bei der Qualifikation für die U18-Weltmeisterschaften gehört das Schachtalent sogar dem Bundeskader an. Punktgleich mit vier Konkurrenten belegte Ashot beim der WM im vergangenen Jahr in Griechenland den fünften Platz. Im März 2019 bei den Europameisterschaften lief es dagegen nicht ganz so gut. „Ich landete im Mittelfeld, weil ich schlecht gespielt habe“, resümiert der junge Mann selbstkritisch. Allerdings war das Abschneiden nicht ganz selbst verschuldet: „Meine Konzentration war schon vor dem Turnierstart hin, weil ich wegen Visa-Problemen zehn Stunden am Flughafen in Mazedonien festgehalten wurde.“

Für den ehrgeizigen Brettsportler ist jede verlorene Partie ein Desaster. „Ich ärgere mich über meine Fehler und rekapituliere sie im Nachhinein ausführlich“, sagt Ashot. An Konzentration und Ausdauer mangelt es ihm nicht. So lässt er sich mitunter bis zu 40 Minuten Zeit für einen einzigen Zug. „Im Kopf gehe ich rund fünf mögliche Varianten durch, um die optimale auszuführen.“ Keine Frage, in strategischem Denken und Fokussierung kann ihm kaum jemand etwas vormachen. Dabei musste Ashot zu seiner Schachkarriere „gezwungen“ werden.

„Als Kind war er ‚sehr bewegungsfreudig‘ und wollte immer nur Fußball spielen“, erinnert sich Mutter Hasmik Parvanyan. Um den Jungen innerlich zur Ruhe zu bringen, musste der Siebenjährige nachmittags am Schachbrett trainieren – und vormittags ohnehin, denn das Strategiespiel ist in Armenien wie in anderen osteuropäischen Ländern ein Grundschulfach. „Anfangs war es langweilig, aber dann habe ich die Faszination von Läufern, Türmen und Bauern entdeckt“, sagt das Ausnahmetalent, das für den Schachklub Norderstedt in der 2. Bundesliga sowie für TuRa Harksheide in der Jugendlandesliga antritt.

Eigentlich war der Erfolg nur eine Frage der Zeit, denn das Schachspielen liegt in der Familie. Vater Mesrop und Alfred, Ashots vier Jahre älterer Bruder, sind ebenfalls versierte Turnierschachspieler – nur Mutter Hasmik zieht schwarz-weiße Klaviertasten den schwarz-weißen Spielfeldern vor.

Mittlerweile hat der Weltschachbund FIDE Ashot aufgrund von Wettkampferfolgen den Titel „Internationaler Meister“ verliehen. Lediglich 79 sogenannte Elo-Punkte, die die Spielstärke angeben, und drei Normen fehlen dem 18-Jährigen, damit er sich auch „Großmeister“ nennen darf. Das wäre eine gute Voraussetzung für den Start in die angestrebte Profi-Karriere. Dann warten nicht nur stärkere Gegner auf ihn, sondern es gibt Antrittsgelder und viele Vergünstigungen bei Turnieren – schließlich will Ashot künftig von seinem Sport leben.