Norderstedt. Der beliebteste Therapeut im Garstedter AWO-Servicehaus hat große, dunkelbraune Augen, eine weiche Nase und kuscheliges Fell mit Latte Macchiato-farbenen Flecken. Alle drei Monate bringt Shetlandpony Fridolin Stimmung in die Seniorenwohnanlage. „Wer nicht mehr so mobil ist, um zu uns zu kommen, bei dem kommen eben wir vorbei“, sagt Angelika Magnussen fröhlich und verschwindet mit dem kleinen Hengst wie selbstverständlich im engen Fahrstuhl. Wenig später öffnet sich ein Stockwerk höher die Lifttür und das ungewöhnliche Gespann klackert im Viertakt in den Gemeinschaftsraum.
Sieben Augenpaare leuchten erwartungsvoll auf, als Fridolin seine „Bühne“ umringt von Rollatoren und Rollstühlen betritt – alles kein Problem für das Pferdchen. „Er liebt es im Mittelpunkt zu stehen, bewundert und gestreichelt zu werden“, ist sich seine Besitzerin sicher. Der 14-jährige Mini-Hengst bewirkt kleine Wunder bei den Senioren. Auf ihren Gesichtern macht sich Lächeln breit, Erinnerungen an Kindheit und Jugend werden wach, Stichworte und Gesprächsfetzen fliegen munter hin und her. „Ich bin auf einem Bauernhof in Mazuren aufgewachsen und hatte immer Tiere um mich“, erzählt Elfriede Stender. Behutsam streichelt die 85-Jährige Fridolins Hals und flüstert dabei leise: „Ich hab‘ dich lieb.“
Auch Anastasios Sikoudis‘ Familie hatte Pferde. „Arbeitspferde fürs Feld“, betont der 84-Jährige. Auf seinen Pfiff seien sie freiwillig von der Koppel in den Stall gekommen. Die Pferdesprache beherrscht er immer noch. Das merkt auch Fridolin, der Ansätze macht, den Sessel neben dem älteren Herrn zu erklimmen und ihm schließlich – zur Freude aller Anwesenden – aus seinen warmen Nüstern vertrauensvoll ins Gesicht pustet. „Willst du mich etwa küssen?“, fragt Anastasios Sikoudis amüsiert.
„Tiere wirken positiv auf unsere psychische und körperliche Gesundheit – das ist bewiesen“, weiß Angelika Magnussen. Erst recht, wenn das Glück auf vier Hufen daherkommt. Viele beeindruckende Momente hat die 56-Jährige mit ihrem Herzenstier bereits erlebt. Etwa bei einem schwerstbehinderten Jungen, der sich nicht artikulieren konnte, aber dem die unbändige Freude deutlich im Gesicht stand. Oder bei Senioren, die zurückgezogen leben, für das Besuchspony aber ihre Isolation verlassen und sich von Fridolin ein Stück weit wieder ins Leben führen lassen. „Pferde nehmen jeden an, wie er ist. Sie bewerten nicht und erwarten nichts“, erklärt die erfahrene Pferdefrau aus Hohenfelde bei Itzehoe.
Seit gut zwei Jahren ist sie mit ihren tierischen Therapeuten, Ponyhengst Fridolin und Hündin Hailey, in 16 Senioreneinrichtungen zwischen Hamburg und Neumünster unterwegs. Auf die Idee dazu kam sie durch einen Projekttag in der Schule ihres Sohnes. „Eine Lehrerin fragte, ob wir mit einem Pferd vorbeikommen könnten und wir haben Fridolin einpackt“, erinnert sich Angelika Magnussen. „Der stand tiefenentspannt in einem Pulk von 120 Kindern, ließ sich streicheln und füttern. Er strahlt so viel Ruhe und Gelassenheit aus; sein einnehmendes Wesen ist ein Geschenk, das ich auch gerne an Senioren weitergeben wollte.“ Und sie fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Mit seiner bisherigen Aufgabe als ‚Rasenmäher‘ im Garten war er deutlich unterfordert.“
Während der Besuchstermine stehen immer mal wieder „Privataudienz“ in einzelnen Apartments oder auf Pflegestationen an. Dann setzt Fridolin scheinbar besonders behutsam einen Huf vor den anderen, um möglichst wenig Abdrücke auf dem Teppichboden oder wenig Geräusche auf dem Linoleum zu machen. Kaum vorstellbar, dass er zuhause auf seiner Koppel freudig buckelnd herumgaloppiert und beim Reiten hin und wieder sein ponytypischer Sturkopf durchkommt.
Inzwischen zieht ein Duft nach Kartoffeln und gebratenem Fisch durch das AWO-Servicehaus in Norderstedt –Mittagszeit. Interessiert inspiziert der neugierige Scheckhengst den Tellerinhalt. Eine Kleinigkeit für ihn, ist er mit seiner Körpergröße von 1,10 Meter doch genau auf Tischhöhe, was die meisten Heimbewohner ungemein erheitert.
Zum krönenden Abschluss überreicht Waltraud Schulze ihrem Herzenspony eine weiße Rose, die blitzschnell mit einem Happs im rosigen Maul verschwindet – einer von vielen lustigen Momenten, die im Gedächtnis bleiben werden. „Fridolin ist oft noch tagelang Gesprächsthema im Haus und die Stimmung bestens“, berichtet Adina Tack, Leiterin des sozialen Dienstes.
Noch ein paar Streicheleinheiten zum Abschluss und ein Bund frischer Möhren für den tierischen Besucher. Dann geht es mit dem Aufzug wieder ins Erdgeschoss und mit dem Pferdehänger nach Hause zu den Stallkameraden.