Radiokarriere trotz Handicap

Mit der Nominierung für den Deutschen Radiopreis setzt TIDE.radio-Produzent Nikolai Prodöhl neue Maßstäbe

 

Nikolai Prodöhl ist einer der innovativsten Radiomacher Deutschlands. Bester Beweis: die Nominierung für den Deutschen Radiopreis 2019. Und das trotz oder gerade wegen seines Handicaps, denn der 30-Jährige hat eine Sprachbeeinträchtigung. Manche Wörter klingen abgehackt, kommen ihm nur stockend über die Lippen. Doch diese Einschränkung hält den gebürtigen Duvenstedter nicht davon ab, seinen Traum als Moderator zu leben. Bei TIDE, Hamburgs Communitysender und Ausbildungskanal, produziert er Radio- sowie TV-Sendungen mit inklusiven Themen. Er berichtet vom Profi- und Behindertensport, reist zu den Special Olympics, hinterfragt die Barrierefreiheit in Alltagssituationen, stellt Außenarbeitsplätze der Elbe-Werkstätten und Theaterprojekte vor, beleuchtet Parteiprogramme zur Europawahl und nimmt sich aktuellen Problemen wie Mikroplastik in den Weltmeeren an – immer mit interessanten Interviewpartnern etwa einer Meeresbiologin vom Max-Planck-Institut.

Das vielseitige Interesse an Themen und Menschen begleitet ihn schon lange. „Bereits als Kind habe ich Tageserlebnisse und eigene Gedanken mit dem Kassettenrekorder aufgenommen“, erinnert sich Nikolai Prodöhl. Sein Berufswunsch Journalist jedoch ließ sich in der Medienlandschaft – zunächst – nicht verwirklichen. Er lernte im Gartenbau und arbeitet seit elf Jahren auf dem Gärtnerhof am Stüffel in Bergstedt, der Menschen mit Förderbedarf beschäftigt. „Die Arbeit in und mit der Natur macht Spaß, aber die Arbeit im Studio noch mehr“, sagt Nikolai Prodöhl und lächelt breit.

Als 19-Jähriger probierte er sich beim Freien Sender Kombinat erstmals am Mikrophon aus; eignete sich im Anschluss in Kursen an der TIDE-Akademie das Rüstzeug für Radio- und TV-Macher an, lernte Aufnahme- und Interviewtechniken, Schnitt und Bearbeitung von Beiträgen. Auch individuelles Sprechtraining stand für den jungen Mann auf dem Programm – alles neben seinem regulären Job als Gärtner.

Ehrgeiz, Hartnäckigkeit und Geduld  – drei Eigenschaften, die Nikolai Prodöhl auszeichnen und sich auszahlen. Neben der sporadischen TV-Sendung „Der, Die, Das – Rundfunk und Inklusion“ ist der Bergstedter jeden Dienstag jeweils um 6.30 und um 12.30 Uhr mit fünfminütigen „Guten News der Woche“ auf der TIDE.radio-Frequenz 96,0 zu hören. Zudem ist er jeden ersten Samstag im Monat von 15 bis 16 Uhr mit „Wohnen und Arbeiten“ „on Air“.

Preisverdächtig, befand die Grimme-Jury, die über die Vergabe des Deutschen Radiopreises entscheidet und Nikolai Prodöhl für seine Januar-Ausgabe unter dem Titel „Inklusive Sportsendung“ in der Kategorie „Bester Newcomer“ nominierte. Selbstbewusst hatte der junge Radiomacher die Produktion bei der renommierten Kommission eingereicht – ungeachtet der starken Konkurrenz von 442 Beiträgen aus bundesweit 154 Programmen. „Und ohne Aussicht auf Erfolg, denn der Deutsche Radiopreis ist eine Auszeichnung für Medien-Profis – Laien-Sender wurden bislang nicht berücksichtigt“, sagt Peter Gehlsdorf rückblickend. So war die Überraschung für den Leiter und Programmplaner des Bürgerradios TIDE umso größer, als er Ende Juli per Telefon die Nachricht über die Nominierung erhielt.

Respekt zollt er der Grimme-Jury für ihre „mutige“ Entscheidung. „Die Nominierung ist ein bedeutsames Achtungszeichen für die gesamte Branche. Sie fordert Medienmacher auf, ihr Tun zu hinterfragen und nicht nur mundgerechten Mainstream abzuliefern. Und sie ist eine Anerkennung für eine Sendung, die nicht den allgemeinen Hörgewohnheiten entspricht, sich nicht der Norm anpasst – und nicht angepasst werden darf, denn das entspräche nicht dem Integrationsgedanken. Als Initialzündung lädt sie zudem andere Produzenten mit Handicap für künftige Bewerbungen ein.“ Für Peter Gehlsdorf ist Nikolai Prodöhl ein Vorreiter und Türöffner – auch im eigenen Haus, denn unter 350 TIDE-Produzenten haben nur vier körperliche oder geistige Beeinträchtigungen.

Auch wenn Nikolai Prodöhl enttäuscht ist, dass er den Preis nicht einheimsen konnte – die Auszeichnung ging an Roger Rekless von PULS in Bayern –, ist bereits die Kandidatur ein großer Erfolg in seiner ungewöhnlichen Karriere als „Rundfunker“. Denn er will mehr. Beim NDR hat er zumindest im „Off“ Fuß gefasst: Seit zweieinhalb Jahren betreut er den Audioschnitt der Homepage des Radiosenders N-JOY und jobbt in der Requisite für die Fernsehformate „DAS!“ und „Mein Nachmittag“. Bausteine auf dem Weg zu einer eigenen Sendung von und für Menschen mit Handicap. „Am liebsten beim NDR oder Deutschlandfunk“, wünscht sich das Medientalent – und empfiehlt sich selbstsicher als versierter Reporter für die Paralympics: „2020 in Japans Hauptstadt Tokio wäre ich sehr gern dabei.“