Norderstedt. Lars Wasserthal steht auf dem Sommerparkplatz vom Arriba, rückt den schwarzen Zylinder zurecht und zieht den roten Frack glatt. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Kostüm, ist Beruf und Berufung: der 39-Jährige ist ein waschechter Zirkusdirektor. Einer, der singt, tanzt und zaubert. Circus Phantasia heißt sein einzigartiges Lebenswerk. Ein Mitmachzirkus, in dem 260 Kinder von der Grundschule Immenhorst für eine Woche zu Artisten, Clowns und Feuerspuckern werden und ihre Träume leben können. So wie der gebürtige Itzstedter – wenn auch über Umwege.
Nach Abitur am Norderstedter Lise-Meitner-Gymnasium und Schauspielstudium in Hamburg zog es ihn zunächst auf die Theaterbühnen der Republik. Bei einem Engagement im Heidepark Soltau fand er die Liebe zur Regie und zu seiner Ehefrau Sabrina, einer erfolgreichen Artistin.
„Mein Schwiegervater hatte die Idee für einen Schul-Zirkus, doch ich war anfangs nicht so begeistert“, räumt Wasserthal ein. Zu groß waren seine Bedenken. „Fünfeinhalb Jahre Festanstellung, geregeltes Einkommen und Urlaubsanspruch sind komfortabler Luxus, den man nicht einfach aufgibt. Außerdem hatte ich keine Ahnung, ob mir ein Leben im Wohnwagen liegen würde.“ Tat es aber, und nach einem Jahr „Probebetrieb“ war ihm klar: Die Arbeit mit Kindern macht riesigen Spaß – das ist das Risiko wert.
„Für die Gründung des Circus Phantasia wurde alles verscherbelt, was Geld brachte: Haus, Auto, Wertsachen, Möbel. Und dann hieß es ‚Klinkenputzen‘. Wir schrieben 3500 Schulen bundesweit an. 17 waren interessiert – der Anfang war gemacht und es ging stetig voran“, erinnert sich der zweifache Familienvater.
Das war 2010; im kommenden Jahr feiert der Zirkus sein zehnjähriges Bestehen. „Es läuft sehr gut. Nach drei Jahren waren wir bereits schuldenfrei“, sagt Lars Wasserthal und lächelt glücklich. An jährlich 40 Schulen, vorwiegend in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen, baut er mit seinem zehnköpfigen Team das rot-gelbe Zelt auf. Über eine Teilnehmergebühr und Eintrittskarten für Eltern und weitere Zuschauer finanziert sich das Unternehmen. 90 Prozent der Schulen seien „bekennende Wiederholungstäter“.
Auch Elisabeth Bauer-Plambeck, Leiterin der Grundschule Immenhorst, lud den Circus Phantasia bereits zum zweiten Mal ein. „Wir sind auf drei Jahre im Voraus ausgebucht“, freut sich der Zirkuschef. Das gibt monetäre Sicherheit – und mit Blick auf den imposanten Wohnwagen auch den einst schmerzlich eingebüßten Komfort. Zudem wartet für vier Wochen spielfreie Zeit ein Haus mit großem Garten in Soltau.
Das Engagement in Norderstedt ist für den gebürtigen Schleswig-Holsteiner ein willkommenes Heimspiel. Mutter, Schwester, Freunde und Klassenkameraden leben hier im Umkreis – „das bedeutet geballtes Besuchsprogramm abseits der Proben und Vorstellungen“, sagt Lars Wasserthal lachend. Doch zuvor geht es um die aufgeregten Nachwuchs-Artisten wie Lea, die zum ersten Mal in ihrem Leben über ein Drahtseil balanciert. „Wackelig, aber toll fühlt es sich an“, ruft die Zehnjährige und winkt mit einem roten Fächer wie eine Prinzessin.
„Kinder werden oft unterschätzt und trauen sich viel mehr zu, wenn man sie ermutigt sich auszuprobieren“, weiß Wasserthal. Manches Kind wachse bei den Proben als Jongleur, Akrobat oder Zauberer über sich hinaus. „Nach der Vorstellung sind sie um mindestens zehn Zentimeter größer.“ Das sei der größte Lohn für den leidenschaftlichen Zirkusdirektor.
Und was, wenn es mit seinem Traumberuf nicht geklappt hätte? „Dann wäre ich Lehrer für Kunst und Mathematik geworden“, kommt es nicht minder euphorisch – auch zwei Disziplinen, an denen Kinder wachsen können. Allerdings: Auf ewig möchte Lars Wasserthal Zylinder und Frack nicht tragen. Mit 50 soll Schluss sein. Vielleicht auch früher. Mal schauen, wie seine kleinen Töchter (vier Jahre und sechs Monate) mit der mobilen Zirkusschule zurechtkommen. Und 48 Wochen im Jahr auf Tour zu sein kostet Kraft ,„zumal ich immer 100 Prozent gebe – das bin ich den Kindern schuldig.“