Nur noch Haut und Knochen: Stute vor dem Hungertod gerettet

Wakendorf II. Eileen Kolano hat schon viel Elend gesehen während ihrer sieben Jahre im aktiven Tierschutz, doch beim Anblick von Anna ist selbst die junge Frau fassungslos. Die dunkelbraune Trakehnerstute ist halb verhungert, Rippen und Hüften ragen aus dem ausgemergelten Körper heraus. Das Tier besteht nur noch aus Haut und Knochen. Die Augen geschlossen dämmerte Anna hoffnungslos und völlig isoliert auf steppenartigem Boden im ländlichen Nirgendwo ihrem Ende entgegen.

Ein Anruf hatte die zweite Vorsitzende des Vereins „4 Hufe im Glück“ vergangenes Wochenende nach Sachsen-Anhalt fahren lassen – ohne zu wissen, was sie erwarten würde. Ein Pferd müsse schnellstens weg, hatte es geheißen. „Als ich die Stute sah, blieb mir kurz die Luft weg – sie sah so gut wie tot aus. Dass Menschen Tieren so etwas antun, macht mich unendlich traurig, aber auch wahnsinnig wütend“, sagt die 31-Jährige. Zumal der stämmige Besitzer keinerlei Mitleid oder Reue über den katastrophalen Ernährungszustand seines Tieres zeigte. „Er hat doch tatsächlich behauptet, sie müsse nur ein wenig Muskeln aufbauen, dann würde es wieder werden. Außerdem erzählte er stolz, dass sein Kind sie mit Sattel geritten sei. Der Sattel muss auf den blanken Knochen gelegen haben!“ Eileen schüttelt entsetzt und angewidert den Kopf.

Überhaupt habe er es nur gut gemeint und das Pferd vor zwei Jahren aus einem Reitschulbetrieb übernommen, hätte der Mann gesagt. Zu der Zeit wäre es auch schon mager gewesen. „Auf die Frage nach dem Futter erzählte er, dass er Anna Brot und Obst gegeben habe. Einem Pferd, einem Grasfresser! Wir haben sie sofort aufgeladen. Dort hätte sie nicht eine Sekunde länger bleiben dürfen.“

Ohne zu zögern war Anna in den Transporter gestiegen und nach vier Stunden Fahrt in Sicherheit. Bei der Verpächterin der Vereinsweiden von „4 Hufe im Glück“ in Wakendorf II hat die Trakehnerstute ihren Altersruhesitz gefunden, obwohl keiner weiß, wie alt sie wirklich ist. „Erst hieß es am Telefon 25 Jahre, vor Ort dann 37, aber Letzteres kann nicht sein, weil sie noch alle Zähne hat und Möhrchen mühelos wegsnackt“, berichtet Eileen. Ohnehin sei das Alter egal, Hauptsache das Tier könne wieder zu Kräften kommen – „wer weiß, was sie noch alles erlebt hat.“

Schon wenige Stunden nach der Ankunft hatte sich Anna gut in der Senioren-WG mit drei weiteren Pferde-Rentnern eingelebt. Und hat mit Schimmelwallach Kasimir einen glühenden Verehrer, der ihr nicht mehr von der Seite weicht – was auf gegenseitiger Sympathie beruht wie Annas leises Wiehern in seine Richtung bestätigt.

„Es ist so schön zu sehen, dass ihre Augen wieder glänzen. Die Gesellschaft tut ihr gut und ein wenig zugenommen hat sie auch schon“, freut sich die Tierschützerin. Behutsam wird die Stute nun aufgefüttert, doch das geht ins Geld. „Ehrlich gesagt, wissen wir gerade nicht, wo wir es hernehmen sollen, denn in der Vereinskasse ist Ebbe. Wir haben aktuell so viele vierbeinige Sorgenkinder, die unsere Finanzen ans Limit gebracht haben. Allein seit Jahresbeginn fielen rund 10000 Euro für Tierarztkosten und Klinikaufenthalte an. Trotz Aufnahmestopp haben wir keine Sekunde gezögert, Anna zu uns zu holen.“

Und das, obwohl der Verein dringend Spenden, Sponsoren, Patenschaften und Pflegestellen benötigt, um am 25. Oktober auf einer Auktion im österreichischen Maishofen Kaltblutfohlen aufzukaufen, die sonst an den Schlachter gehen und nach qualvoller Anbindemast zu Wurst und Steaks verarbeitet würden. Über 100 Pferdekindern als auch tragenden Stuten wurde bisher das Leben gerettet und sie in eine hoffnungsvolle Zukunft und liebevolle Zuhause vermittelt. Für Eileen einfach unvorstellbar, in diesem Jahr vielleicht nicht am Auktionsring zu sitzen und totgeweihte Noriker-Fohlen ersteigern zu können – schließlich sei das die Kernidee bei der Vereinsgründung 2016 gewesen.

Seitdem kam die Rettung von ausgedienten Sportpferden oder mit kleinen Handicaps, vernachlässigten Ponys und unliebsam gewordenen alten Vierbeinern dazu. „Jedes einzelne Tier hat ein schönes, respektvolles und umsorgtes Leben verdient“, betont Eileen und hofft auf finanzielle Unterstützung zahlreicher Pferdefreunde, die etwa als Paten Annas Futterschüssel schon mit fünf Euro im Monat füllen können.

Und sagt mit einem freudigen Blick auf die braune Stute, die genüsslich Heu aus einer großen Raufe mampft: „Ich wünsche mir, dass die Menschen nicht weg-, sondern hingucken, wenn etwas offensichtlich nicht stimmt und sich anonym bei uns, anderen Tierschutzvereinen oder beim Veterinäramt melden – das hilft sehr, weiteren Tieren Elend und Leid zu ersparen.“

 

Weitere Informationen gibt es unter www.4hufeimglueck.com,Spendenkonto: 4 Hufe im Glück e.V., IBAN: DE98 8306 5408 0004 0086 50, BIC: GENO DEF1 SLR