10 Jahre "Ran&gut!": das Sozialkauf, das Jobs schafft

Kisdorf. Das Kaufhaus „Ran & gut!“ ist eine Erfolgsgeschichte – aus sozialer, nachhaltiger sowie integrativer Sicht. Zum einen finden Schnäppchenjäger und Sammler zu günstigen Preisen viele gut erhaltene, gespendete Artikel von Textilien über Haushaltswaren und Bücher bis zu Möbelstücken, die nicht auf dem Müll landen, sondern ökologisch wertvoll wiederverwendet werden. Zum anderen erhalten aktuell zehn Menschen mit Behinderung eine Beschäftigung in einem arbeitsmarktähnlichen Umfeld, die sonst keine Möglichkeit hätten, am Wirtschaftsleben teilzuhaben.

Seit zehn Jahren betreibt die Stiftung Das Rauhe Haus aus Kattendorf das Projekt, das 1999 aus einer Bürgerinitiative heraus gegründet wurde und bis 2011 von der Arbeiterwohlfahrt betrieben wurde.

„Über 50000 Behinderte sind in Deutschland in Tagesförderstätten untergebracht, in denen sie lediglich beschäftigt werden und eine Tagesstruktur erhalten. Weil sie nicht ‚werkstattfähig‘ sind, bekommen sie jedoch keine soziale Absicherung durch den Bund wie etwa Rentenzahlungen“, erläutert Juliane Geuke vom Stiftungsbereich Teilhabe mit Assistenz des Rauhen Hauses.

„Bei uns dagegen kann jeder arbeiten, sich sinnerfüllend ausprobieren sowie soziale und finanzielle Wertschätzung erhalten – sei es bei der Warenannahme, -sortierung, -auspreisung oder im Verkauf“, betont ihr Kollege Detlef Boie. Seit drei Jahren gilt das Kaufhaus als „Anderer Leistungsanbieter“ und ist damit Werkstätten für behinderte Menschen gleichgestellt, zahlt Löhne und arbeitet dabei kostendeckend. Die umliegenden Kommunen und Boeing übernehmen 50 Prozent der monatlichen Mietkosten.

Das Sozialprojekt ist eine Chance etwa für Janek Evers. Der 20-Jährige absolviert bei „Ran & gut!“ eine gut zweijährige Berufsbildungsmaßnahme, die ihn im befähigt, im besten Fall anschließend auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Es macht Spaß mit den Kunden, die uns manchmal für das Ein- oder Ausladen Trinkgelder zustecken“, sagt er gutgelaunt. Am liebsten bedient der junge Mann die Kasse in der Möbelscheune. Symbole auf den Tasten erleichtern vor allem Menschen mit Lernschwierigkeiten die Bedienung. Gerne würde Janek Praktika in anderen Unternehmen machen, doch bis auf wenige Ausnahmen seien die Vorbehalte meist größer als der Wille, sich mit dem Thema Inklusion am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen, bedauert Juliane Geuke. „,Für unsere Beschäftigten wünschen wir uns besser im örtlichen Wirtschaftsnetz integriert zu werden.“

Der soziale Aspekt des Kaufhauses in der Kaltenkirchener Straße 14 und der Nachhaltigkeitsgedanke lassen Katharina Spiegel mindestens einmal im Monat nach Kisdorf zum Stöbern kommen. „In Norderstedt haben wir mit ‚Hempels‘ zwar auch ein Gebrauchtwarenhaus, doch die Einnahmen gehen in die Stadtkasse. Da fahre ich lieber etwas weiter und unterstütze Menschen mit Behinderung, die immer fröhlich und mit Herzblut dabei sind“, sagt Spiegel und versichert, niemals mit leeren Händen nach Hause zu fahren. „Ein gebrauchtes Regal, ein karierter Koffer, Wolle, ein Abendkleid, einige Hüte – ich habe schon viele tolle Sachen gefunden. Es muss ja nicht immer alles neu sein.“

Obwohl tatsächlich einige Artikel so gut wie unbenutzt sind, wie Linda Kämereit zu ihrem Erstaunen feststellen musste. Die Henstedt-Ulzburgerin ist eine von 15 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, war anfangs Kundin und engagiert sich seit drei Jahren im Kaufhaus. „80 Prozent der Modeartikel sind Markenware und sehen aus, als ob sie direkt von der Stange bei ‚dodenhof‘ kommen. Die Wegwerf-Konsumgesellschaft ist erschreckend, dennoch freue ich mich, dass viele Menschen ihre aussortierten Teile spenden und anderen ermöglichen, hochwertige Kleidung zu tragen“, so Kämereit.

Das Motto lautet: Alle sollen sich alles leisten können. Bei Preisen wie diesen, kein Problem: Schuhe kosten fünf Euro, T-Shirts zwei Euro, Kleider drei Euro – ohne Wenn und Aber.

Die Pandemie machte auch nicht vor „Ran & gut!“ Halt. In den vergangenen zwei Jahren musste das Kaufhaus für jeweils zwei bzw. fünf Monate schließen. „In der Corona-Zeit sind wir fast an der Spendenflut erstickt, weil nahezu jeder zuhause ausgemistet hat“, erzählt Juliane Geuke. Entsprechend gut gefüllt seien die 500 Quadratmeter Verkaufsfläche. Leider seien immer mal nicht wiederverwendbare Waren unter den Spenden. „Pro Monat müssen wir den Inhalt eines großen Anhängers auf dem Sperrmüll entsorgen – das kostet jedes Mal rund 150 Euro“, so Geuke von der Stiftung Das Rauhe Haus.

Dennoch kann und soll sich zukünftig nichts ändern, versichert Bereichsleiter Detlef Boie. „Die vergangenen zehn Jahre waren großartig. Wir werden weiterhin Menschen mit Behinderung Perspektiven bieten, um vielfältig an der Gesellschaft teilzuhaben, denn wir wissen: Ihr schafft das!“

 

Sachspenden können bei „Ran & gut!“ in der Kaltenkirchener Straße 14 in Kisdorf zu den Öffnungszeiten dienstags und mittwochs von 10 bis 14 Uhr sowie donnerstags von 10 bis 17 Uhr abgegeben werden. Große Möbelstücke holt das Transportteam nach Terminvereinbarung und Besichtigung ab, Tel. 04191/953 96 80, www.ranundgut.de.