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Henstedt-Ulzburg. Die Corona-Pandemie hat bislang seltsame Blüten getrieben: Mancher mistete wochenlang den Keller aus und sah zur Entspannung alle verfügbaren Netflix-Serien, andere entdeckten neue Hobbys für sich wie Kalligrafie, Puzzeln, Stricken oder Brotbacken. Zwei Henstedt-Ulzburgerinnen wurden anders kreativ und begannen in Lockdown-Zeiten einen dichterischen Schlagabtausch per E-Mail.
„Außerhalb der eigenen vier Wände fand nichts mehr statt, die Langeweile war grenzenlos und die Energie musste irgendwo hin“, erinnert sich Susanne Nähr (64). Fünf Kilometer Luftlinie entfernt ging es Heide Panterodt (66) genauso, die in den frühen Morgenstunden des 9. April 2021 eine zündende Idee hatte. „Was, wenn wir beide wieder Gedichte schreiben?“, mailte sie ihrer Freundin auf dem Rhen. Nun muss man wissen, dass die Lyrik-Ladys Profis im Verseschmieden sind. Zusammen haben sie bereits jahrelang kurze Gedichte als Einleitungen für die Auftritte ihrer DRK-Sketchgruppe „Die Spätzünder“ in der Kulturkate geschrieben.
Enorm motiviert gingen die Damen ans Werk, indem sie sich gegenseitig Alltagsthemen vorgaben: von „Überall im Haus liegt Staub“ über „Dilemma“, „Angst und Mut“, „Im Garten“, „Null Bock“, „Unkraut“ und „Ersatzteile“ bis „Diäten“. Die Ideen kamen Heide Panterodt vornehmlich beim Hundespaziergang, während Susanne Nähr frühmorgens zwischen Traum und Tag besonders innovative Einfälle hatte.
Viele Motive waren direkt auf die Frau gespielt, andere „angeschnippelt“ wie beim Ping-Pong-Spiel. Vereinzelt landete ein Themenvorschlag im Aus. „Weiberfassnacht ist so gar nicht meins“, betont Susanne Nähr und hat ihrer Karneval-Abneigung entsprechend in ihren Versen Luft gemacht.
Ein gutes halbes Jahr flogen nahezu täglich Ideen und Reime zwischen den Computern hin und her – vom knackigen Zwei-Zeiler bis zum opulenten 18-Verser. Mal lustig oder spöttisch, mal nachdenklich oder traurig, aber immer fantasievoll. „Ich bin Fan von Heinz Erhard und habe Spaß, mit Worten zu jonglieren und Erlebnisse aus meinem Leben in Versen zu verwenden“, bekennt Heide Panterodt, während Spielpartnerin Nähr den Humor und die Ausdrucksfähigkeit vor allem von Wilhelm Busch und Joachim Ringelnatz mag.
„Jedes Thema war eine Herausforderung und spornte zum Nachdenken an, schließlich wollte man etwas schreiben, was die andere nicht unbedingt erwarten würde, um den Ball gekonnt zurückzuspielen“, sagt Susanne Nähr rückblickend und bekennt mit einem Augenzwinkern: „Nach über 100 Gedichten war bei uns aus der einst spontanen Idee eine Sucht geworden, mit der wir andere gern anstecken wollten.“
Ein Buch sollte es werden, im Eigenvertrieb – fehlten nur noch ansprechende Illustrationen. Die steuerte Heidi Brommer-Thomsen, eine Schulfreundin von Susanne Nähr, bei. Die 65-jährige Lithografin ließ ihren Farbstiften freien Lauf und griff die Themen witzig-liebevoll in ihren Bildern auf. „Die Gedichte waren sehr inspirierend, immer mit einem Dreh oder einer überraschenden Pointe“, sagt die Norderstedterin.
Die schönsten 41 Verse haben es auf 75 Seiten in das Buch „Ping-Pong-Gedichte“ mit einem Einband in Tischtennisplatten-Grün geschafft. Ob als Geschenk oder für sich selbst kann es für zwölf Euro (plus Porto) per Mail bei susanne.naehr@online.de bestellt werden.
Wer ein paar Kostproben hören möchte, kommt am 30. Mai um 18 Uhr ins „Memorium“ hinter der Henstedter Erlöserkirche. Dort lesen die Lyrik-Ladys bei kostenlosem Eintritt im Rahmen der Kunst- und Kulturwoche Henstedt-Ulzburg (KuKuHu) mit musikalischer Unterstützung von Saxophonist Marc Löhrwald aus Hamburg, der bei einigen Musicals mitwirkte und 25 Jahre festes Mitglied des Schmidts Tivoli-Orchesters war.
Von Lampenfieber ist bei den Dichterinnen kaum etwas zu merken. „Wir sind quasi Profis und freuen uns, endlich wieder eine Bühne stürmen zu dürfen“, versichert Heide Panterodt. Allerdings ist sie etwas besorgt, was die Reaktionen des Publikums auf einige Texte angeht – „schließlich gibt man ab und an etwas sehr Persönliches von sich preis wie etwa in meinem Gedicht ‚Was fehlt‘“.
Im Übrigen gibt es wie beim Ping-Pong-Spiel Revanche – obwohl niemand verloren, sondern nur gewonnen hat. Heißt: Der dichterische Schlagabtausch geht weiter. „Für einen möglichen zweiten Band haben wir bereits jede Menge Literarisches vorgelegt. Auch wenn wir unser kreatives Tempo inzwischen gedrosselt haben, weil wir alle wieder mehr um die Ohren haben, schlagen wir nach wie vor mit Themen auf und retournieren wortreich – so ist das eben mit einer Passion, die einen gepackt hat“, erklärt Susanne Nähr.