Englisch? Spanisch? Norderstedter Schüler "staht op Platt"

Norderstedt „O Dannenboom, o Dannenboom, wo gröön sünd diene Bläder“, tönt es fröhlich aus einem Klassenraum der Offenen Ganztagsgrundschule Harksheide-Nord. Inge Krabbenhöft hat einen kleinen Weihnachtsbaum aus Holz und ein paar LED-Kerzen mitgebracht. Die 65-Jährige bringt einigen Vierklässlern plattdeutsche Weihnachtslieder und -gedichte nahe – nach Unterrichtsschluss, mit sehr viel Spaß auf beiden Seiten.

Und dass, obwohl sie gar keine Lehrkraft ist. „Ich wollte mich mit Beginn meiner Rente ehrenamtlich engagieren. Zudem liegt mir liegt die plattdeutsche Sprache am Herzen und ich möchte meine Begeisterung gerne weitergeben“, erklärt die Norderstedterin, die auf der Halbinsel Angeln im Norden Schleswig-Holsteins auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Das Plattschnacken gehörte für sie zum Alltag. „Hochdeutsch war meine erste Fremdsprache“, sagt sie und lächelt verschmitzt.

Eine Freundin, die an der Grundschule Harksheide-Nord als Lehrerin arbeitet, brachte Inge Krabbenhöft auf die Idee, einen Workshop anzubieten. Bei Franziska Ginko, die die Schule seit September leitet, traf sie auf Begeisterung. „Ich war Plattdeutsch-Beauftragte an meiner alten Schule, habe Vorlese-Wettbewerbe organisiert und verbinde mit der Sprache schöne Erinnerungen an meine Großeltern in Lübeck. Zudem ist das Plattdeutsche eine regionale Sprache, die es zu erhalten gilt“, betont die 51-Jährige.

Eigentlich wollte es Inge Krabbenhöft in einem kleinen Rahmen angehen lassen, doch die Resonanz auf ihr Angebot war überwältigend. 20 Viertklässler meldeten sich für den Plattdeutsch-Schnupperkurs an, so dass drei Kleingruppen gebildet wurden – alle ohne Vorkenntnisse. „Unsere Nachbarin sagt manchmal was auf Platt zu mir, aber ich verstehe sie leider nicht, deshalb möchte ich es gerne lernen“, erzählt die neunjährige Melina.

„Ik bün nieschierig, wat de Wiehnachtsmann an Hilligabend bringen wart. Un i?“, fragt Inge Krabbenhöft in die Runde. Helena schaut sie stirnrunzelnd an: „Kannst du eigentlich auch fließend Deutsch oder nur Platt?“ Inge Krabbenhöft lächelt. Mit den Kindern spricht sie ausschließlich Niederdeutsch – nur im „Notfall“ geht es auch auf Hochdeutsch. „Ich möchte, dass sie sich reinhören und ein Gespür für die Sprachmelodie bekommen. Das Verstehen kommt dann fast von ganz allein.“

Am besten klappt das mit Weihnachtsliedern. „Loot uns froh un munter ween“ geht den Mädchen und Jungen bereits nach dem ersten Probelesen fast fehlerfrei über die Lippen. „Mit bekannten Liedtexten ist es ist einfacher, weil sich die Kinder die plattdeutschen Wörter erschließen können“, so die Hobby-Lehrende.

Zum besseren Verständnis hat sie eine Vokabelliste mit kleinen erklärenden Zeichnungen für Peerd (Pferd), Koken (Kuchen) und Plätten (Plätzchen) mitgebracht. „Ein bisschen schwierig ist, dass einige Buchstaben anders ausgesprochen als geschrieben werden“, findet Zoie. So wird etwa das „g“ in „opreegt“ (aufgeregt) wie „ch“ ausgesprochen, und aus „Abend“ wird „Obend“. 

Einige Kinder probieren sich aus, andere hören lieber zu. „Sie trauen sich manchmal nicht, etwas zu sagen, aber das kommt noch, denn wir wollen zusammen nur Spaß haben. Und Noten gibt es auch nicht“, bekräftigt die Mundartlerin, die auch ihre vierjährige Enkelin spielerisch ans Plattdeutsche heranführt.

Bosse hat keine Berührungsängste und versucht sich sogar schon an ersten kurzen Sätzen. „Ik speel Football. Die Sprache hört sich lustig an, das mag ich“, sagt der Neunjährige. „Tatsächlich lässt sich vieles auf Plattdeutsch netter ausdrücken. Dösbaddel statt Dummkopf – sogar Beschimpfungen klingen nicht so hart“, bestätigt Inge Krabbenhöft. 

Ihre Schülerinnen und Schüler seien kleine Wundertüten und würden sie immer wieder überraschen. „Ich bin beeindruckt, wenn eine Viertklässlerin oder ein Viertklässler neben Deutsch und Englisch noch eine weitere Sprache lernen möchte.“

Zwar ist Niederdeutsch nach der „Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ zu schützen und zu fördern, dennoch wird sie nur an einzelnen Schulen in den norddeutschen Bundesländern angeboten. „Durch meinen Beitrag möchte ich das Plattdeutsche ein Stückchen vor dem Verschwinden bewahren“, hofft Inge Krabbenhöft.

Zum Schluss der Stunde gibt es noch ein Weihnachtslied. Bei „Morrn, Kinner, sall’t wat geben“ singen alle laut mit. Als Dankeschön verteilt die Sprachlehrerin blau-durchscheinende „Muckelsteen“, kleine Handschmeichler, und bekommt das wohl schönste Kompliment von Zoie. „Was heißt auf Plattdeutsch: Ich fand das ganz toll?“, fragt das Mädchen. „Ik funn dat ganz dull“, übersetzt Inge Krabbenhöft und freut sich sichtlich. „Die Kinder geben so viel zurück und machen mich einfach glücklich.“