Sie retten Rehkitze vor grausamem Messer-Tod auf der Wiese

Norderstedt Der Tod auf der Wiese kommt mit 600 PS. Etwa 100000 Rehkitze werden jedes Jahr von landwirtschaftlichen Mähmaschinen getötet, schätzt die Deutsche Wildtierstiftung. In Tangstedt hat sich zu Ostern ein Verein gegründet, der schutzlose Tierkinder retten möchte.

Für den Nachwuchs vieler Wildtiere beginnt im Frühjahr eine lebensgefährliche Zeit. Zwischen Ende April und Ende Juni bringen Rehe ihre Kitze zur Welt. Sie legen sie gern im hohen Gras ab und kommen nur zum Säugen zurück. Doch zur selben Zeit steht bei den Landwirten auch die erste Wiesenmahd an, um Heu für Pferde, Rinder und Schafe zu machen. Die neugeborenen Rehkinder haben noch kein Fluchtverhalten. Sie ducken sich instinktiv dicht an den Boden und sind nicht zu sehen. Viele von ihnen geraten unter die scharfen Messer der Mähmaschinen und sterben einen qualvollen und oft langsamen Tod.

In immer mehr Gemeinden sind deshalb Vereine aktiv, die Wiesen in Absprache mit den Landwirten zuvor mit Drohnen und hochauflösenden Wärmekameras abfliegen, gefährdete Wildtiere orten, sichern und nach dem Abmähen wieder in die Freiheit entlassen.

„Bisher haben wir erfolgreich mit der Rehkitzrettung Wakendorf II zusammengearbeitet, die jedoch wegen erfreulich großer Nachfrage inzwischen keine Kapazitäten mehr hat. Deshalb haben wir für unser Dorf einen eigenen Verein gegründet“, erklärt Marte Sach, 1. Vorsitzende der Rehkitzrettung Tangstedt. Sie betreibt mit ihrem Mann Sönke Meier im Ortsteil Wilstedt eine Landwirtschaft unter anderem mit 60 Hektar Grünland.

Der junge Verein geht mit 26 ehrenamtlichen Mitgliedern an den Start, darunter Landwirte und Jäger. Mit dabei ist auch Manfred Kraski, der 19 Jahre als Gitarrist der Hamburger Kultband „The Rattles“ auf vielen Bühnen stand. „Ich wollte mich im Tierschutz engagieren und Leben zu retten, ist doch eine wundervolle Aufgabe“, sagt der 70-Jährige. Eigens dafür hat er den Drohnenführerschein gemacht, ebenso wie Niels Hass. Der Norderstedter hat sich zudem für 2500 Euro einen gebrauchten Hexakopter zugelegt, um aus der Luft hilflose Tierkinder zu orten und das Bergungsteam, die „Läufer“, zum Fundort dirigieren zu können. „Ich freue mich schon auf den ersten echten Einsatz, denn bisher haben wir nur mit Flaschen geübt, die mit warmem Wasser gefüllten waren“, berichtet der 64-Jährige.

Dass sie künftig zwischen vier und acht Uhr unterwegs sein wird, einer Zeit, in der andere Menschen tief und fest schlafen, stört Helke Kattner nicht. „Ich bin ein Morgenmensch und freue mich auf einzigartige Naturerlebnisse im Sonnenaufgang“, versichert die Tangstedterin. Denn lediglich in aller Frühe ist der Boden noch nicht von der Sonne aufgeheizt und so sind auf der Wärmebildkamera deutlich Kontraste zu sehen. Bereits am Vormittag erscheinen angewärmte Maulwurfshügel auf dem Kontrollmonitor wie schlafende Tierkinder und machen die Arbeit unnötig kompliziert.

Bislang gehen einige Bauern ihre Wiesen vor dem Mähen zu Fuß und auch mit Hunden ab oder stellen Stecken mit Flatterbändern auf, die die Tiere vertreiben sollen, doch der Erfolg ist in beiden Fällen sehr gering. Eine Drohnenortung ist deutlich effektiver und zeitsparender. „Für Landwirte kostet unser Service 30 Euro pro Jahr plus einen Euro pro Hektar. Dadurch hoffen wir, auch die Skeptiker mit ins Boot zu holen. Es darf einfach keine Landwirte geben, die etwa aus Zeitgründen oder Nachlässigkeit keine Maßnahmen für den Tierschutz anwenden, zumal sie gesetzlich dazu verpflichtet sind und bei Vergehen hohe Strafen drohen“, betont Marte Sach. Sie selbst war im vergangenen Jahr sieben Mal auf innovativer „Kitz-Jagd“. „Ich bin zwar ein nüchterner Mensch, aber diesen hilflosen Wesen das Weiterleben ermöglichen zu können, das macht etwas mit einem“, gesteht die Grafikerin.

2023 hat der Wakendorfer Nachbarverein auf 825 Hektar 149 Kitze vor dem brutalen Mähtod gerettet, hinzu kamen zahlreiche Junghasen sowie Gelege etwa vom Brachvogel. „Wir hoffen ebenso viele Wildtiere retten zu können. Dafür benötigen wir aber noch etliche Helfer und Piloten. Je mehr wir sind, desto seltener kommt der Einzelne zum Einsatz“, sagt Dörte Trau. Sie ist Jägerin und führt in Tangstedt mit ihrem Mann einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 100 Hektar Grünland.

Nicht nur tatkräftige Hilfe wird benötigt, sondern auch finanzielle. Zum einen sollen private Drohnen, wie die von Niels Hass, vom Verein angekauft werden, zum anderen müssen wegen einer EU-Gesetzesänderung im kommenden Jahr neue Fluggeräte mit einem funkbasierten Kennzeichen beschafft werden – Kostenpunkt: rund 7000 Euro pro Stück. „Wir freuen uns über viele weitere aktive und passive Mitglieder, Spender und Sponsoren, die uns bei der lebenswichtigen Arbeit helfen, so hat etwa die Sparkasse Holstein Unterstützung zugesagt“, sagt Marte Sach. Am 20. und 21. April ist der Verein beim Trecker Treck in Wakendorf II mit einem Info-Stand vor Ort.