Spazieren gehen mit Ziegen: "Das tut der Seele gut!"

Bargfeld-Stegen „Thea, komm‘ rauf auf den Tisch – Zeit zum Melken“, ruft Matthias Jacobsen. Die fünfjährige Ziegendame mit ihren imposanten, gut 30 Zentimeter langen Hörnern springt ohne zu zögern auf den hölzernen Picknicktisch, der neben ihrem Stall steht. „Auf Sylt haben sie mich Ziegenflüsterer genannt, weil meine Tiere so gut erzogen sind“, erzählt Jacobsen mit einem breiten Grinsen in seinem tiefgebräunten Gesicht.

Als Ranger kam der gebürtige Rahlstedter auf die Nordseeinsel – „ich bin im öffentlichen Dienst spazieren gegangen und habe Leute ermahnt, ihre Hunde am Strand und in den Dünen anzuleinen.“ Dann bekam er das Naturschutzgebiet Baakdeel bei Rantum in Obhut, in dem er für Urlauber Führungen anbot. „Die meisten Besucher waren Senioren, aber ich wollte auch junge Menschen ansprechen und dabei haben mir meine Ziegen Lucy und Lucius geholfen“, sagt Jacobsen.

Als ausgebildeter Natur- und Landschaftsführer liegt es ihm am Herzen, bei Kindern Interesse und Naturbewusstsein zu wecken und zu stärken. „Denn nur, was sie frühzeitig kennengelernt haben, können sie später auch schützen.“ Über Tiere erfolge der Zugang einfacher, weiß der 61-Jährige, der sich in tiergestützter Kommunikation weitergebildet hat.

Und warum ausgerechnet Ziegen? „Sie sind neugierig, schlau, sehr sensibel und verschmust; sie beißen nicht und schlagen nicht aus. Sie sind einfach nur liebenswert“, schwärmt Matthias Jacobsen, „zudem ist die Ziege nach dem Hund das älteste Haustier des Menschen und begleitet uns seit über 10000 Jahren. Ein Leben ohne Ziege war und ist unmöglich.“

Auf Sylt ging es in Ziegenbegleitung sogar an den Strand – seit ein paar Wochen zeigt der studierte Landwirt interessierten Besuchern die wilde Landschaft rund um Bargfeld-Stegen, nördlich von Norderstedt. Die Gemeinde hatte beschlossen, einen Kultur- und Erlebnisraum rund um die Burganlage Stegen an der Alster einzurichten und suchte nach vierbeinigen Landschaftspflegern. „Thea, Wiesel, Heidrun und ihr Nachwuchs haben sich beworben und den Job bekommen“, freut sich der Herr der Ziegen. Auf 4000 Quadratmetern halten sie Knöterich, Brombeeren, Weide und Brennnesseln in Schach, die die historische Stätte wieder zu überwuchern drohen.

1320 hatte der Raubritter Johann von Hummersbüttel an der Alten Alster auf vier Hügeln eine Festung samt Wassergraben anlegen lassen, die sogar Belagerungen standhielt, aber nach Machtstreitigkeiten 1348 geschleift wurde. 1899 fanden erste Untersuchungen an einer der größten Turmhügelburgen Schleswig-Holsteins statt. 2019 nahmen Forscher der Universitäten Greifswald und Göttingen Grabungen vor, bei denen Alltagsgegenstände wie Keramik und Zeugnisse kämpferischer Auseinandersetzungen wie Armbrustbolzen zutage kamen.

Nach dem Abschluss der Arbeiten hat die Gemeinde das Areal in diesem Frühjahr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, Info-Tafeln aufgestellt und die Einweihung mit einem zünftigen Mittelalterfest gefeiert.

Mitten in den Resten der historischen Burganlage leben nun acht dänische Landrasse-Ziegen, deren Art vom Aussterben bedroht ist. „Dank ihrer feinen Unterwolle ist es die einzige ‚winterfeste‘ Rasse, die sehr robust ist und das ganze Jahr draußen bleiben kann“, erklärt Jacobsen.

Damit kleine und große Menschen die Schätze der Natur entdecken können, bietet er jeden Sonntag von 14 bis 16 Uhr ab dem Hofcafé von Gut Stegen Ziegenspaziergänge an – er nennt es „Zotteln mit Ziegen“, wobei zotteln für bummeln und gemütlich gehen steht.

„Ziegen wirken enorm entschleunigend. Sie laufen den größten Teil der Tour frei mit, geben das Tempo vor und wir gehen mit. Ab und zu naschen sie am Wegesrand und wir sehen beim Warten Pflanzen und Tiere, die wir sonst nicht wahrgenommen hätten. Das tut der Seele gut“, sagt der Naturbursche.

Und zu sehen, gibt es auf dem rund vier Kilometer langen Rundweg eine Menge: Kraniche, Störche, Rotmilan, seltene Neuntöter und noch seltenere Blaukehlchen. Jacobsen weiß auch, wo die faszinierende Nessel-Seide vorkommt, ein Gewächs, das ohne Wurzeln und Blätter existiert und blasse Blüten wie kleine Totenköpfe bildet. Und dann zückt er noch eine Schachtel mit ein paar bizarren Süßwasserschwämmen aus der Alster: „Die sind hunderte Millionen Jahre alt!“

Nicht nur für gestresste Großstädter sei der tierische Spaziergang ein erholsamer Kurzurlaub. Und Kinder, die anfangs häufig Respekt vor allem vor den stabilen Hörnern hätten, würden mutig und selbstbewusst, bildeten mit den Ziegen ein Team und erforschten spielerisch die Natur. Erwachsene zahlen 17,50 Euro, Kinder 10 Euro.

Wer auf Tuchfühlung mit den Ziegen kommen möchte, kann die einstündige Kuschelzeit buchen (10 Euro pro Person), in der die sanften Tiere gefüttert, gestriegelt und beschmust werden. Und beim einstündigen Melkkurs (10 Euro pro Person) lernen Besucher die richtigen Handgriffe, um aus der gutmütigen Ziegendame Thea – entspannt auf dem Picknicktisch stehend – Milch zu gewinnen, die Matthias Jacobsen anschließend live zu Frischkäse verarbeitet. Außerdem bietet er Kindergeburtstage für Mädchen und Jungs ab acht Jahren mit Spiel, Spaß und einem Quiz rund um und mit seinen Ziegen an (Kosten: 10 Euro pro Kind).

 

Infos auf Instagram unter zotteln_mit_ziegen, auf Facebook unter Ziegenwanderung Bargfeld-Stegen; Anmeldungen und Fragen per Mail an matthias-jacobsen@t-online.de oder telefonisch 0151/501 985 46.