
Heike Sellhorn ist ihr ganzes Leben auf Entdeckungstour. Auf dem urigen Bauernhof ihrer Großeltern in Tangstedt aufgewachsen, war sie als Kind mit ihren Cousins oft auf den Feldern rund ums Dorf unterwegs. „Wir durften viel – und das, was verboten war, haben wir trotzdem gemacht“, erinnert sie sich lachend. Zum Beispiel, zu den Überresten eines uralten Friedhofes in der Dorfstraße zu gehen.
„Die spannenden Ausflüge haben immer meine Fantasie beflügelt.“ Heute teilt sie beides mit begeisterten Lesern ihrer Krimis, die sie zu diversen Spielorten in Tangstedt und Wilstedt führt. So hat etwa die verlassene Rhododendrongärtnerei im Glashütter Weg am Rande des Tangstedter Forstes eine wichtige Rolle im Erstlingswerk „Schwestern des Schweigens“. Das Hotel-Restaurant „Tangstedter Mühle“ wird zwar in „Dorfkrug“ umbenannt, doch die ortskundigen Leser wissen bei den Beschreibungen oft sofort, wo die Szene spielt – das macht die Krimis so authentisch.
Auch meint mancher Leser, die eine oder andere reale Figur wiederzuerkennen. „Bekannte Tangstedter mit ihren Eigenheiten haben tatsächlich einigen Charakteren Pate gestanden“, gibt Heike Sellhorn schmunzelnd zu. Doch um wen es sich handelt, verrät sie nicht.
Schreiben ist für die 62-Jährige eine Leidenschaft, die im Kindesalter begann. Statt ihr Taschengeld für Bonbons zu nutzen, investierte die Achtjährige die 50 Pfennige in Hefte und Bleistifte. „Lina sucht eine Freundin“ hieß ihre erste Geschichte – ein Schreibheft vollgeschrieben, von der ersten bis zur letzten Seite. Gelesen hat es außer ihr niemand. „Ich habe immer nur für mich geschrieben, weil ich zu schüchtern war, meine Erzählungen zu teilen.“
Aus den Berufswünschen Werbetexterin oder Kinderkrankenschwester wurde es der zweite. Nebenbei schrieb Heike Sellhorn, die mittlerweile nach Hamburg-Ohlsdorf umgezogen war, Gedichte und Fantasy-Geschichten – wieder nur für sich. „Mit 50 Jahren brauchte meine Schreibseele mehr Platz“, erzählt die Autorin. Über ein Fernstudium an einer Schreibschule eignete sie sich das Handwerkszeug an. „Aus Intuition hatte ich schon vieles richtig gemacht, aber der Feinschliff hatte gefehlt.“ Eines wollte sie niemals schreiben: Krimis. „Aber mit der Zeit wurde ich neugierig; ich wollte mich ausprobieren“ – da war er wieder, der Entdeckungswille.
2019 erschien der Erstling „Schwestern des Schweigens“, 2023 folgte „Schweineheimat“. In Sellhorns Krimis fließt kaum Blut. „Es geht vorrangig um menschliche Schicksale; die Tat ist nur Beiwerk.“ Vor allem der knorrige Kommissar Hannes Delft ist der Autorin ans Herz gewachsen – auch weil viel von ihr selbst in dem Protagonisten steckt. „Er ist sensibel, macht sich viele Gedanken und setzt sich mit sich auseinander.“
Für jede Figur entwirft Heike Sellhorn im Vorwege eine Biografie, „doch bisweilen entwickeln sie beim Schreiben ein Eigenleben und halten sich nicht an meine Ideen“, sagt sie und schmunzelt. Und manchmal kommen die Figuren aus dem Nichts. So war der Pathologe Max Wasserstein eigentlich gar nicht vorgesehen. „Doch mit seiner arroganten Art hat er sich mir regelrecht aufgedrängt, so dass er ‚mitspielen‘ darf – ich mag komplizierte, schwierige Menschen, auch in der Realität.“
Inspiration findet das ehemalige Dorfkind im Alltag, bei der Arbeit im Krankenhaus, in Begegnungen mit vielen verschiedenen Menschen und bei regelmäßigen Familienbesuchen in Tangstedt. Auf Fotos werden interessante Orte festgehalten, Notizblock und Bleistift sind stets „an der Frau“. „Ich halte stets Augen und Ohren offen. Zudem habe ich noch viele Bilder aus meiner Kindheit im Kopf, die ich in meinen Büchern verarbeite. Die dörfliche Stimmung ist etwas ganz Besonderes.“
Schreiben sei pures Glück für Heike Sellhorn, auch wenn sie sehr kritisch sei und von der Rohfassung ihrer Texte nur die Hälfte übrigbliebe. „Ich freue mich jeden Tag, meine Figuren wiederzutreffen und mit ihnen neue Ereignisse zu erleben.“ Und dann verrät die Autorin, dass sie ihre Leser in einem dritten Band auf Entdeckungstour mitnehmen wird. Der kauzige Kommissar Hannes Delft wird also wieder in Tangstedt ermitteln, das erneut zum Schauplatz einer mörderischen Geschichte werden wird.